Seit dem Ausbruch der Syrienkrise im Jahr 2011 haben mehr als 1.5 Millionen Syrerinnen und Syrer Zuflucht im Nachbarland Libanon gesucht. Das kleine Land am Mittelmeer beherbergt weltweit den grössten Anteil an Flüchtlingen gemessen an seiner Gesamtbevölkerung. Die stark von Auslandszahlungen abhängige Wirtschaft des Landes wurde durch die langjährige Krise weiter strapaziert. Das Haushaltsdefizit wächst kontinuierlich und Investitionen der öffentlichen Hand sind seit Jahren beträchtlich eingeschränkt.
Unter anderem hat der Bildungssektor die grösste Last zu tragen: Mehr als 600'000 syrische Flüchtlingskinder im Schulalter sind auf Zugang zu Grundbildung angewiesen. Obwohl die libanesische Regierung in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft im Rahmen einer nationalen Strategie im Bildungssektor grosse Anstrengungen unternimmt, um syrische Kinder in das öffentliche Schulwesen zu integrieren, hatten im Jahr 2018 mehr als 300'000 Flüchtlingskinder keinerlei Möglichkeiten, formale oder nicht-formale Bildungseinrichtungen zu besuchen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies sogar einen Anstieg. Hinzu kommt, dass seit Beginn der Syrienkrise auch bedürftige libanesische Kinder immer häufiger vorzeitig die Schule abbrechen.
Auf der anderen Seite bestehen grosse Defizite, was die Qualität des Lehrens und Lernens betrifft. Bereits vor Ausbruch der Krise war das libanesische Bildungssystem von Schwächen bei der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern betroffen. So existiert kein einheitliches System, das den Eintritt der Lehrpersonen in das öffentliche Schulwesen klar definiert. Vorherrschende pädagogische Methoden sind zum grossen Teil veraltet und nicht kindgerecht. Aufgrund eines Mangels an Fortbildungsmöglichkeiten und fehlender kontinuierlicher Begleitung sind Lehrerinnen und Lehrer nicht in der Lage, auf die besonderen Bedürfnisse von traumatisierten Kindern einzugehen und ihnen neben dem zu vermittelnden Wissen auch mit psychosozialer Unterstützung zur Verfügung zu stehen. Finanzielle Engpässe und schlechte materielle Vergütung machen den Lehrberuf im öffentlichen Sektor zudem unattraktiv.
Schliesslich haben sich Herausforderungen und Kapazitätsengpässe des libanesischen Bildungswesens im Rahmen der Krise auch auf institutioneller und systemischer Ebene verschärft. Der Sektor ist von einer institutionellen Fragmentierung und dadurch in vielerlei Hinsicht von Ineffizienz geprägt. Langwierige politische Prozesse, fehlende landesweit harmonisierte Strategien zur Fortentwicklung des Lehrerberufes sowie veraltete Systeme zur Sammlung und Auswertung von Daten verhindern Fortschritte in Bezug auf eine qualitativ hochwertige Schulbildung. Nach wie vor wird anhand eines längst nicht mehr zeitgemässen Lehrplans unterrichtet, der teils autoritäre Unterrichtsmethoden entlang veralteter Schulbücher vorsieht.
Bereits seit 2016 arbeitet Caritas Schweiz zusammen mit der lokalen Partnerorganisation Ana Aqra an der Erarbeitung eines Modells, das Lehrpersonen kindgerechtes und schülerzentriertes Unterrichten näherbringt. Das sogenannte QTL-Modell wurde in einer Kooperation mit verschiedenen Institutionen des libanesischen Bildungssystems erstellt und im Rahmen eines Handbuchs zur praktischen Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern formalisiert. Somit hat Caritas Schweiz bereits dazu beigetragen, Brücken zwischen den verschiedenen Bildungsinstitutionen zu bauen und dadurch betroffene Kinder mit einer verbesserten Unterrichtsqualität zu unterstützen. Der regelmässige Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern des Bildungsministeriums führte zudem dazu, dass diese heute den Mehrwert des Modells anerkennen und bereit sind, Elemente daraus teilweise in das libanesische Bildungssystem zu integrieren.