Gegen den Angriff auf Mindestlöhne

Vernehmlassungsantwort der Caritas zur Umsetzung der Motion «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen»

Ein genügend hohes Erwerbseinkommen ist das wichtigste Mittel zur Existenzsicherung und damit die beste Armutsprävention. Mindestlöhne leisten in Kombination mit weiteren Massnahmen einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung. Caritas Schweiz spricht sich deswegen gegen die Umsetzung der Motion «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen» aus.

Existenzsicherende Löhne sind unabdingbar für ein würdige Arbeit. Die Einführung eines Mindestlohns kann dazu beitragen, die Einkommenssituation von Arbeitnehmenden im Tieflohnbereich zu verbessern. Als Tieflohn gilt gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) ein Bruttolohn für ein Vollzeitpensum unter 4'525 Franken pro Monat (2022). In der Schweiz arbeiten zwölf Prozent aller Arbeitnehmenden im Tieflohnbereich. Frauen beziehen deutlich häufiger einen Tieflohn als Männer. Das liegt unter anderem daran, dass in Branchen mit einem hohen Frauenanteil besonders viele Tieflöhne bezahlt werden, beispielsweise im Detailhandel, der Gastronomie und bei den persönlichen Dienstleistungen (z.B. Coiffeure).

Im Jahr 2022 waren gemäss BFS 298'000 Personen trotz Erwerbsarbeit von Armut betroffen oder bedroht. Diese sogenannten Working Poor profitieren besonders von Mindestlöhnen. Mitbetroffen sind Kinder und nichterwerbstätige Familienmitglieder im gleichen Haushalt: Insgesamt beträgt die Anzahl der Personen, die trotz eines Erwerbseinkommens im Haushalt zu wenig Geld zum Leben haben, 709'000.

Fünf Kantone kennen bereits einen Mindestlohn

In der Schweiz gibt es keinen nationalen Mindestlohn. Fünf Kantone haben in den letzten Jahren einen Mindestlohn eingeführt: Basel-Stadt, Genf, Jura, Neuenburg und Tessin. Zudem hat die Stimmbevölkerung in den Städten Zürich und Winterthur der Einführung eines städtischen Mindestlohns zugestimmt. Der Volksentscheid wurde gerichtlich angefochten, der Entscheid ist noch hängig.

Der Gesetzesentwurf zur Motion Ettlin «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen» (20.4738) sieht vor, dass Bestimmungen über Mindestlöhne in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) allgemeinverbindlich erklärt werden können, auch wenn sie zwingendem kantonalen Recht widersprechen. Dies hätte erstens die Aufhebung der von der Stimmbevölkerung angenommenen Mindestlöhne in den Kantonen Genf und Neuenburg zur Folge. Die Mindestlöhne in den Kantonen Basel-Stadt, Jura und Tessin wären nicht betroffen. Zweitens würden auch zukünftige Mindestlöhne verhindert, vorausgesetzt sie sind höher als die Löhne in GAV, die für allgemeinverbindlich erklärt wurden.

Caritas Schweiz befürchtet im Fall einer solchen Regelung eine Verschlechterung für viele Arbeitnehmende, die aktuell von einem Mindestlohn profitieren. Zudem würde verhindert, dass weitere Kantone und Städte künftig eine würdige Entlöhnung festlegen können.

Caritas Schweiz hat in ihrer Vernehmlassungsantwort auf diese Punkte hingewiesen und rät Bundesrat und Parlament von der Umsetzung der Motion Ettlin entschieden ab.

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Titelbild: © Caritas Schweiz