Finanzielle Sorgen nehmen zu – sprechen wir über Geld!
Fast jede siebte Person in der Schweiz lebt in einem Haushalt, der verschuldet ist. Diese erschreckend hohe Zahl könnte gesenkt werden, wenn sich Betroffene früher Hilfe holen würden. Viele schämen sich aber. Mit der Swiss Money Week rufen Fachleute deshalb dazu auf, das Tabu zu brechen – und endlich über Geld und Schulden zu sprechen.
70'617 Franken. So hoch waren die durchschnittlichen Schulden von Menschen, die sich im Jahr 2020 bei einer Schuldenberatungsstelle gemeldet haben. Das zeigt die Statistik des Dachverbands Schuldenberatung Schweiz. Für die Betroffenen ist diese Summe häufig so hoch, dass sie Jahre brauchen, um sie bei ihren Gläubigern abzuzahlen – wenn sie überhaupt dazu in der Lage sind. Denn die Hälfte der verschuldeten Personen verdient weniger als 4'300 Franken, viele leben am oder unter dem Existenzminimum.
Während der Swiss Money Week machen Fachleute auf das Problem aufmerksam. Diese hat vom 20. bis 26. März 2023 zum dritten Mal stattgefunden, mit Workshops, Vorträgen und einer Ausstellung in Zürich, Bern, Basel, Aargau, Solothurn und Neuenburg sowie mit Online-Veranstaltungen.
Viele holen sich erst nach Jahren Hilfe
Durchgeführt wird die Swiss Money Week vom Netzwerk Finanzkompetenz, zu dem auch Caritas Schweiz gehört. Martin Jucker, Projektverantwortlicher beim Caritas Netz und bei der Schuldenberatung, sagt: «Über Geld und finanzielle Schwierigkeiten zu sprechen oder Unterstützung zu suchen, ist in der Schweiz immer noch ein Tabu.» Viele würden sich schämen, über ihre finanzielle Not zu sprechen oder wüssten schlicht zu wenig über die vorhandenen Hilfsangebote.
Ziel der Swiss Money Week ist es deshalb, dieses Tabu zu durchbrechen. Denn je mehr darüber gesprochen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich verschuldete Personen professionelle Hilfe suchen. Gerade jetzt wäre das bitter nötig, wie Martin Jucker erklärt: «Wegen der Teuerung und den höheren Krankenkassenprämien verzeichnen wir immer mehr Anfragen. Im Schnitt dauert es aber noch immer mehrere Jahre, bis jemand zu uns in eine Beratung kommt. Bis dahin haben sich meist zehntausende Franken an Schulden angehäuft.» Würden die Betroffenen früher kommen, könnte man sie besser unterstützen oder sie würden gar nicht erst in diese Situation geraten.
Offene Rechnungen bei Steuerbehörden und Krankenkassen
Am häufigsten betroffen von Schulden sind Frauen und Männer zwischen 30 und 49 Jahren. Am weitesten verbreitet sind Steuerschulden (80 Prozent) und Krankenkassenschulden (65 Prozent), viele haben aber auch bei Banken sowie Bekannten und Verwandten offene Rechnungen oder sind in Verzug mit Alimenten oder der Miete.
Der Grossteil der Betroffenen gibt an, wegen Arbeitslosigkeit, einer Trennung/Scheidung oder wegen gesundheitlichen Problemen (je 29 Prozent) in Zahlungsverzug zu sein. Dazu Martin Jucker: «Personen, die ohnehin schon über ein knappes Budget verfügen, rutschen besonders häufig nach plötzlichen Ereignissen in die Schulden, etwa nach einer Krankheit oder der Kündigung.»
Beratung, um aus «Teufelskreis» zu kommen
Besonders prekär werde die Situation, wenn man in eine Negativspirale gerate – «wenn man Schulden macht, um Schulden abzubezahlen», so Jucker. «Das ist ein Teufelskreis, aus dem man ohne Beratung kaum mehr herauskommt.» Die Angst vor neuen Rechnungen und die Unsicherheit, wie diese bezahlt werden sollen, können zu Stress und gesundheitlichen Problemen führen.
Caritas Schweiz und die regionalen Caritas-Organisationen bieten deshalb niederschwellige und unbürokratische Hilfe an, etwa mit Sozial- und Schuldenberatungen, Digitreffs für die Förderung von digitalen Kompetenzen, Anlaufstellen für administrative Unterstützung oder mit Schulbesuchen zum Thema Schulden durch youngCaritas. Martin Jucker sagt: «Angesichts der steigenden Energiekosten, Krankenkassenprämien und Lebensmittelpreise ist es höchste Zeit, über Geld zu sprechen – bevor es für viele Menschen zu spät ist.»
Geschrieben von Niels Jost
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Titelbild: © Thomas Plain