

«Die schlimmste Situation seit Kriegsbeginn»
Die Diskussion über eine mögliche Waffenruhe im Gazastreifen ist verstummt. Stattdessen gehen die Bombardierungen unvermindert weiter. Wie die Menschen in dem Küstenstreifen unter diesen Bedingungen leben und überleben, weiss Sarah Buss, Leiterin der Katastrophenhilfe von Caritas Schweiz.
Sarah Buss, die humanitäre Lage ist selten im Fokus der Berichterstattung. Wie geht es den Menschen im Gazastreifen?
Lange haben wir von einer «drohenden humanitären Katastrophe» gesprochen. Jetzt ist es nicht mehr zu übersehen: Es ist die schlimmste Situation seit Kriegsbeginn. 90 Prozent der Menschen sind von der Lebensmittelknappheit betroffen, viele leiden an Hunger, weil kaum Hilfsgüter in den Landstrich kommen. Zudem können von der früheren Landwirtschaftsfläche noch höchstens fünf Prozent genutzt werden.
Kinder suchen auf Müllhalden nach Essensresten, immer mehr Frauen haben keine Milch, um ihre Babies zu stillen. In den medizinischen Zentren unserer Partner sehen wir vermehrt Anzeichen von Mangelernährung. Eine dieser Einrichtungen mussten wir leider wegen der neuen Bodenoffensive in Deir al-Balah in diesen Tagen evakuieren. Von dort aus hatten wir gerade die Bevölkerung im Süden medizinisch versorgt.
Was braucht es jetzt?
Wir fordern die ungehinderte Einfuhr von humanitären Gütern und eine sofortige Waffenruhe. Der massive Mangel an Lebensmitteln und sauberem Wasser schafft Konflikte - Konflikte in einer Gesellschaft, in der Solidarität eine grosse Stärke war und sich die Menschen untereinander geholfen haben. Diese wachsenden internen Spannungen bergen ein Sicherheitsrisiko – zusätzlich zu den kriegerischen Handlungen.
Das heisst: Es müssen dringend grosse Mengen an Lebensmitteln, Medikamente und Treibstoff in den Gazastreifen gelassen werden. Das schafft wieder Vertrauen, dass es für alle reicht. Die bewährten Verteilstrukturen könnten in kurzer Zeit wieder hochgefahren werden. Ich sage «könnten», denn die israelische Regierung verhindert das derzeit.