Vernehmlassungsantwort zur Volksinitiative «Für ein gesundes Klima»
Am 2. September 2020 hat der Bundesrat die Vernehmlassung zum direkten Gegenentwurf zur Gletscher- Initiative eröffnet. Wir danken dem Bundesrat für die Möglichkeit, uns an dieser Vernehmlassung zu beteiligen. In ihrer täglichen Arbeit in Entwicklungsländern sieht Caritas Schweiz, in welch verheerendem Ausmass sich die Klimaveränderung in Form von Dürren, Überschwemmungen und anderen Extremwetterereignissen bereits auf viele Menschen im Globalen Süden auswirkt. Dank der Arbeit mit Armutsbetroffenen in der Schweiz weiss Caritas ausserdem, wie zentral eine sozialverträgliche Ausgestaltung der notwendigen sozialökologischen Transformation ist. Ausgehend von dieser breiten Erfahrung im In- und Ausland legen wir in dieser Stellungnahme unsere Überlegungen zum Bundesbeschluss über die Schweizer Klimapolitik dar.
Caritas zum direkten Gegenvorschlag des Bundesrates
Caritas Schweiz ist erfreut darüber, dass der Bundesrat die Grundanliegen der Gletscher-Initiative teilt und insgesamt nur wenige Änderungen vorschlägt. Besonders positiv beurteilen wir, dass der Bundesrat die Betonung einer sozialverträglichen Ausgestaltung der schweizerischen Klimapolitik beibehält. Mit den folgenden zwei Abschwächungen des Bundesrates ist Caritas nicht einverstanden:
- Der Bundesrat schreibt in seinen Erläuterungen zum Gegenentwurf, dass eine Abkehr von fossilen Energien vordringlich und für die Erreichung des Netto-Null-Zieles, welches der Bundesrat bereits am 28. August 2019 beschloss, unabdingbar sei. Gleichwohl ist der Bundesrat nicht bereit, fossile Energien ab 2050 zu verbieten. So will der Bundesrat die Nutzung fossiler Energien lediglich «so weit vermindern, als es wirtschaftlich tragbar und technisch möglich ist». Caritas ist überzeugt, dass nur ein klares Verbot fossiler Energieträger letztlich die erwünschte Planungs- und Investitionssicherheit für Wirtschaft und Private schafft. Technologischer Wandel wird stärker gefördert, wenn klare politische Rahmenbedingungen und Vorgaben existieren. Gerade weil die Schweiz noch viel zu wenig in emissionsarme, klimafreundliche und zukunftsfähige Technologien investiert, braucht es eine Politik, die deutliche Anreize für die notwendige Beschleunigung des sozialökologischen Wandels schafft.
- Der Bundesrat erläutert auch, man wolle die Anrechnung ausländischer Massnahmen offenhalten. Dies erhöht aus Sicht der Caritas jedoch die Gefahr, dass die Schweiz zu stark auf Ausland- Kompensationen setzt und dadurch den technologischen Wandel innerhalb der Schweiz unnötig in die Zukunft verschiebt. Caritas ist zwar überzeugt, dass es entwicklungspolitisch sinnvoll ist, dass die Schweiz Emissionreduktionen im Ausland mitinitiiert und mitfinanziert.
Diese Reduktionsleistungen sollten aber nur mit äusserster Zurückhaltung an die schweizerischen Minderungsleistungen angerechnet und in erster Linie zusätzlich geleistet werden. Eine klimagerechte Welt setzt das Verursacherprinzip voraus: Diejenigen, die Treibhausgase und Umweltverschmutzung verursachen – und davon seit Jahrzehnten profitiert haben – werden zur Verantwortung gezogen. Dadurch entsteht für die Schweiz die Verpflichtung, Entwicklungsländer darin zu unterstützen, einen emissionsarmen Entwicklungspfad zu verfolgen und sich an die negativen Klimafolgen anpassen zu können. Klimagerechtes Handeln bringt mit sich, dass die Schweiz diese Unterstützung komplementär leistet – mit neuen Mitteln, die über die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit hinausgehen.
Insgesamt erwartet Caritas höhere Ambitionen
Erfreulicherweise hat die Totalrevision des CO2-Gesetzes sinnvolle und effektive Weiterentwicklungen gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates erfahren. Die Ambitionen bei den jährlichen Emissionsminderungen bleiben aber auch mit dem neuen Gesetz zu tief. Weder die Ziele der Gletscher-Initiative noch das bundesrätliche Netto-Null-Ziel sind damit erreichbar. Offensichtliche Regulierungslücken bestehen beim Strassen- und Luftverkehr, beim Finanzplatz und in der Landwirtschaft oder in der verarbeitenden Industrie.
Hinzu kommt: Durch den Import von Gütern entstehen nebst den inländischen Emissionen noch höhere klimaschädliche Emissionen im Ausland. Will der Bundesrat das Pariser 1,5 Grad-Limit einhalten, müssen sämtliche Emissionen, die die Schweiz verantwortet, konsequent vermindert werden. Sinngemäss schreibt das BAFU: «Der begrenzte Blick auf die Inland-Emissionen blendet aus, dass der sehr hohe Lebensstandard in der Schweiz stark von Vorleistungen und damit verbundenen Emissionen im Ausland abhängig ist. Bei ganzheitlicher Betrachtung erweisen sich die produktions- und konsumbedingten Pro-Kopf-Emissionen der Schweiz im Vergleich mit anderen Industrieländern als überdurchschnittlich hoch.» Vergleicht man die Schweiz mit Caritas-Projektländern im subsaharischen Afrika, tritt die mangelnde Klimagerechtigkeit noch offensichtlicher zu Tage: Jene Länder, die nur einen kleinen Bruchteil der globalen Klimaveränderung verantworten, leiden besonders unter ihren verheerenden Auswirkungen.
Angesichts der offenkundigen Klimaungerechtigkeit ist die Verantwortung der Schweiz bei der Zielerreichung zur Einhaltung des globalen 1,5-Grad-Limits gross: Nebst eines konsequenten, ausreichend ambitionierten und mit sozialpolitisch flankierten Massnahmen begleiteten Absenkpfades in der Schweiz erwartet die Caritas schon seit Jahren im Sinne eines fairen und angemessenen Beitrags der Schweiz an der internationalen Klimafinanzierung mindestens eine Verdopplung auf jährlich 1 Milliarde Schweizer Franken. An den internationalen Klimaverhandlungen im Rahmen der UNO haben sich die wohlhabenden Industrieländer wiederholt dazu verpflichtet, ärmere Länder bei der Reduktion ihrer Treibhausgase und bei der Anpassung an die nicht mehr vermeidbaren Folgen der Klimaveränderung finanziell zu unterstützen – und zwar mit zusätzlichen Mitteln nebst der öffentlichen Entwicklungshilfe.
Ausgehend von diesen Überlegungen trägt Caritas die Forderungen der Gletscher-Initiative mit, wünschte sich aber im Einklang mit der Klima-Allianz in drei Punkten noch weitgehendere klimapolitische Ambitionen:
- Erstens sollte die Schweiz angesichts der bedrohlich voranschreitenden Klimaveränderung und der aktuellsten Erkenntnisse im 1,5 Grad-Sonderbericht der UNO ihre eigenen Treibhausgasemissionen stärker reduzieren, um dem bundesrätlichen Ziel von Netto-Null bis 2050 gerecht werden zu können.
- Zweitens sollte die Schweiz ihre grosse Verantwortung als einer der weltweit führenden Finanzplätze der Welt wahrnehmen und entsprechende Regulationen in Richtung nachhaltiger, klimaverträglicher und zukunftsfähiger Investitionen erlassen.
- Drittens sollte die Schweiz neue und zusätzliche Finanzmittel für Klimaprojekte im Süden (sog. Internationale Klimafinanzierung) bereitstellen.
Zusammengefasst: Caritas Schweiz lehnt den direkten Gegenentwurf in der vorliegenden Form ab. Gleichzeitig möchten wir dem Bundesrat nahelegen, den direkten Gegenentwurf so zu formulieren, wie es die Klima-Allianz in ihrer detaillierten Stellungnahme vorschlägt. Insgesamt würde Caritas einen indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe favorisieren, der den zuletzt genannten drei Punkten sowie den klimapolitischen Erwartungen der Klima-Allianz Rechnung trägt.