Durch die neuen Schnellverfahren an der EU-Aussengrenze drohen «haftähnliche Bedingungen».
Durch die neuen Schnellverfahren an der EU-Aussengrenze drohen «haftähnliche Bedingungen».

Neuer Asyl- und Migrationspakt: Fachpersonen hegen grosse Zweifel

Schutz für Geflüchtete wird eingeschränkt

Per Mitte 2026 will die EU das Asylwesen neu regeln. Auch die Schweiz muss Teile der Grossreform übernehmen. An der neuesten Ausgabe der Diskussionsrunde «Medien-Dialog Migration» von Caritas Schweiz und nccr – on the move warnen Fachpersonen aus Wissenschaft und Praxis: Der Pakt löst keine Probleme, sondern führt zu einer Verschärfung im Umgang mit Geflüchteten.

Aktuell werden in Europa die Weichen gestellt, wie geflüchtete und migrierende Menschen künftig aufgenommen werden, welche Verfahren sie dabei durchlaufen müssen und unter welchen Bedingungen sie Schutz und Unterstützung erhalten.

Der Reformbedarf bei den EU-Mitgliedsstaaten ist gross, wie Philipp Lutz, Politikwissenschaftler an der Universität Genf am «Medien-Dialog Migration» (siehe Box) aufzeigte. Das heutige Asylwesen werde als ineffizient, dysfunktional und unsolidarisch wahrgenommen. Denn: Die Asylgesuche sind ungleich verteilt, die geltenden Regeln des Dublin-Abkommens werden häufig ignoriert und es fehlen verbindliche Strukturen für eine solidarische Zusammenarbeit.

Das ist der Medien-Dialog Migration

Medien-Dialog Migration ist ein Gemeinschaftsprojekt des nccr – on the move (das nationale Forschungs- und Kompetenzzentrum an der Universität Neuchâtel) und Caritas Schweiz. Es findet mehrmals im Jahr statt und hat zum Ziel, den Austausch von Medienschaffenden mit Fachpersonen aus Wissenschaft und Praxis zum Thema Migration zu stärken. Alle Informationen unter: www.caritas.ch/medien-dialog-migration

Es dauerte daher mehrere Jahre, bis sich die EU-Mitgliedsstaaten auf einen Asyl- und Migrationspakt einigen konnten. Die Reform soll im Juni 2026 in Kraft treten. Die wesentlichen Elemente sind:

  • Schnellere Grenzverfahren: Überprüfung von Asylanträgen direkt an den EU-Aussengrenzen.
  • Solidaritätsmechanismus: Die Mitgliedsstaaten werden verpflichtet, sich gegenseitig zu unterstützen, sei dies durch die Aufnahme von Personen, finanzielle Beiträge oder etwa die Entsendung von Fachpersonal. Dadurch sollen vor allem die Grenzstaaten entlastet werden.
  • Screening: Alle Personen werden registriert und auf Sicherheits- sowie Gesundheitsrisiken geprüft. Es erfolgt eine Bewertung, ob jemand Anspruch auf Asyl hat oder rückgeführt wird.
  • Erweiterter Datenaustausch: Von allen Personen werden mehr Angaben in der EU-Datenbank Eurodac erfasst als heute, darunter Fotos, Namen, Alter und Fingerabdrücke – neu auch bei Kindern ab 6 Jahren. Zudem wird der Zugriff auf weitere Behörden ausgeweitet.

Gemäss Philipp Lutz hat der Pakt in der EU Hoffnungen geweckt auf einen neuen, flexiblen Ansatz, um die Verantwortung im Asylwesen gerechter zu verteilen und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten zu stärken.

Aus wissenschaftlicher Sicht bestünden allerdings Zweifel, ob diese Hoffnungen erfüllt werden können. «Die Grundprobleme bleiben auch mit dem neuen Pakt bestehen», sagt Philipp Lutz. So werden weiterhin die Länder an der Schengen-Aussengrenze die Hauptverantwortung übernehmen müssen, während die Solidarität mit ihnen in vielen anderen europäischen Staaten innenpolitisch stark umstritten bleibt. «Die Massnahmen sind komplex und brauchen viel politischen Willen, damit sie überhaupt umgesetzt werden.»

Entsprechend sei fraglich, ob alle Punkte im Pakt wie geplant zur Anwendung kommen – einzelne Regierungen wie Ungarn oder die Slowakei haben sich bereits davon distanziert. Für Philipp Lutz ist deshalb klar: «Der Beschluss eines gemeinsamen Paktes ist zwar für die EU ein politischer Erfolg, aber die Migrationspolitik wird er nicht revolutionieren.»

Pakt löst keine aktuellen Herausforderungen

Noch härter ins Gericht mit dem EU-Asyl- und Migrationspakt ging am «Medien-Dialog Migration» Adriana Romer. Die Juristin bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit Schwerpunkt Europa bezeichnet die Schnellverfahren an den EU-Aussengrenzen als «unzulänglich», da sie unter faktischen Haftbedingungen durchgeführt würden. Auch die erweiterte Datenerfassung in Eurodac kritisiert sie. «Der ganze Pakt geht stark zu Lasten der Grundrechte von schutzsuchenden Menschen.»

Wie bereits Philipp Lutz kommt auch Adriana Romer zum Schluss, dass der Pakt keine der aktuellen Herausforderungen des Asylwesens adressiert oder löst. Viele der dringend benötigten Massnahmen, etwa für einen solidarischen Ausgleich zwischen den Staaten oder faire Asylverfahren, seien bereits in den bestehenden Gesetzen und Vereinbarungen festgehalten – nur würden diese nicht konsequent umgesetzt. Ein neuer Pakt mit noch komplexeren Regeln löse dieses Grundproblem nicht.

Geschrieben von Niels Jost, Mitarbeiter Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Caritas Schweiz

Gerne vermitteln wir Interviews und beantworten Medienanfragen: medien@caritas.ch

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Titelbild: Durch die neuen Schnellverfahren an der EU-Aussengrenze drohen «haftähnliche Bedingungen». © Lefteris Partsalis