La lauréate, Lea Hungerbühler, fondatrice et présidente de l’association AsyLex, s’engage pour les droits des personnes en fuite.
La lauréate, Lea Hungerbühler, fondatrice et présidente de l’association AsyLex, s’engage pour les droits des personnes en fuite.

«Jeder Mensch muss um Schutz bitten können, ohne auf dem Weg dorthin sein Leben zu riskieren.»

Interview mit Lea Hungerbühler, Preisträgerin des Prix Caritas 2022

Die Rechtsanwältin Lea Hungerbühler wurde im Juni in Luzern mit dem Prix Caritas 2022 ausgezeichnet. Die Preisträgerin setzt sich als Gründerin und Präsidentin des Vereins AsyLex für die Rechte von geflüchteten Menschen ein und verhilft Schutzsuchenden mit neuen Herangehensweisen zu ihrem Recht.

Was treibt Sie und mehr als 150 Freiwillige an, sich bei AsyLex für die Rechte von Menschen einzusetzen, die in der Schweiz Schutz suchen? 

Für mich persönlich – und ich vermute, den anderen Teammitgliedern geht es genauso – ist es der Sinn für Gerechtigkeit, der mich antreibt. Leider ist die Einhaltung von Menschenrechten gegenüber geflüchteten Menschen noch keine Selbstverständlichkeit, sondern muss in vielen Fällen hart erkämpft werden. 

Wie stehen Sie zur unterschiedlichen Behandlung von ukrainischen Flüchtlingen und anderen Schutzsuchenden, die auch aus Kriegsländern kommen, in denen ihr Leben unmittelbar in Gefahr ist?

Die Anwendung des Schutzstatus S mit all den Vorteilen, die damit einhergehen, zeigt, dass es auch anders geht: Zum Beispiel Arbeiten von Beginn weg, Unterbringung bei Bekannten oder Verwandten oder aber bei Fremden, welche ihre Tür für Geflüchtete öffnen, die Möglichkeit, umzuziehen oder ins Ausland zu reisen für Schulreisen, Verwandtenbesuche, Geschäfts-Trips oder auch Ferien. All dies erleichtert die Integration und das Einleben in der Schweiz und ich sehe keinen vernünftigen Grund, diese Prinzipien künftig nicht auf alle geflüchteten Menschen anzuwenden. 

Mit dem «AsyLex Detention Project» haben Sie festgestellt, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Inhaftierung von Personen, die abgeschoben werden sollen, nicht immer erfüllt sind. Können Sie das spezifizieren? 

Das Detention Projekt hat zahlreiche kritische Fälle ans Licht gebracht und den Finger auf einen wunden Punkt gelegt. Es ist offensichtlich, dass in Fällen, in welchen niemals je eine Rechtsvertretung in die Akten schaut, wohl mehr Fehler passieren, da solche in der Regel keine negativen Konsequenzen für die Behörden haben. Das ist nun anders – in Fällen von rechtswidriger Administrativhaft reichen wir auch Staatshaftungsklagen ein, sodass die zu Unrecht inhaftierte Person eine Entschädigung erhält. Wir merken, dass die Qualität der Haftentscheide seit der Lancierung unseres Projekts in vielen Kantonen signifikant gestiegen ist – auch wenn gewisse Migrationsämter oder kantonale Gerichte noch heute die verschiedenen Arten und Verfahren der Administrativhaft nicht kennen oder anerkennen wollen. 

Sie sagen, dass es in der Schweiz im Asylbereich keine ausreichenden Rechtsmittel gibt. Warum ist das so?

In der Schweiz gibt es im Asylbereich mit dem Bundesverwaltungsgericht leider nur eine Beschwerdeinstanz. Und deren Rechtsprechung entspricht teilweise nicht unserer Vorstellung vom Recht, vom Asylrecht, vom Flüchtlingsrecht und vom Menschenrechtsschutz. Daher sehen wir uns in vielen Fällen gezwungen, die negativen Entscheide vom Bundesverwaltungsgericht eine Ebene weiterzuziehen an die verschiedenen UNO-Ausschüsse. 

Was sind die Gründe dafür?

Die Schweizer Behörden und Gerichte stellen oft auf die theoretischen Pflichten ab, die ein anderes Land gemäss internationalem Recht hat – zum Beispiel die Pflichten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es wird aber nicht im Einzelfall hingeschaut, wie die Umsetzung der Menschenrechte in der Realität aussieht, vielmehr verschliessen Behörden und Gerichte die Augen vor den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort. Wenngleich drohende Obdachlosigkeit, schutzloses Ausgeliefertsein bei sexualisierter und anderer Gewalt, Push-Backs oder fehlende medizinische Versorgung offensichtlich sind, werden verletzliche Menschen mit Polizeigewalt an solche Orte zwangsausgeschafft – dies widerspricht internationalem Recht. 

Was sind Ihre Prioritäten bei AsyLex in den nächsten Monaten? Wie sehen Sie die Zukunft von AsyLex?

Wir werden den eingeschlagenen Weg weiter gehen und uns konsequent gegen Menschenrechtsverletzungen zur Wehr setzen – auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Leider wird unsere Arbeitslast angesichts der aktuellen Fluchtbewegungen künftig wohl eher zunehmen – wir werden also unsere Teams voraussichtlich weiter ausbauen und mit unserem Ausbildungsprogramm, der AsyLex Academy, weiterhin höchste Qualität unserer Freiwilligenarbeit sicherstellen. Angesichts der zunehmenden Kriminalisierung des Flüchtens werden wir uns auf rechtlicher Seite vermehrt dagegen zur Wehr setzen und uns gleichzeitig für legale Fluchtwege stark machen – denn jeder Mensch, der an Leib und Leben bedroht ist, muss die Möglichkeit haben, Schutz zu suchen, ohne dafür auf dem Mittelmeer, in der Ägäis oder auf anderen lebensgefährlichen Fluchtrouten sein Leben zu riskieren. 

Der Prix Caritas wird jährlich an Personen verliehen, die Herausragendes im Bereich des Sozialen, in der Entwicklungs­zusammenarbeit oder in der interkulturellen Verständigung geleistet haben und die sich durch hohe Fachkompetenz und Menschlichkeit auszeichnen. Die Preissumme von 
10'000 Franken kommt einem Projekt der Preisträgerin zugute.

Titelbild: Preisträgerin Lea Hungerbühler setzt sich als Gründerin und Präsidentin des Vereins AsyLex für die Rechte von geflüchteten Menschen ein. © Priska Ketterer/Caritas Schweiz