

Inmitten der Kämpfe in Gaza: Prothesen der Caritas schenken Hoffnung
Nach fast drei Monaten Blockade hat das israelische Militär wieder erste Lieferungen von Hilfsgütern in den Gazastreifen gelassen. Die Lage im Küstengebiet bleibt aber äusserst prekär. Ausgerechnet jetzt wollen Israel und die USA die Verteilung von Lebensmitteln und Medikamenten umstrukturieren. Caritas Schweiz lehnt das entschieden ab – und zeigt, was bestehende Projekte bewirken können.
Das Ausmass der Not und Zerstörung im Gazastreifen ist kaum vorstellbar. Laut den Vereinten Nationen leiden fast alle der 2,1 Millionen Menschen an Hunger, 95 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Seit Anfang März hatte Israel sämtliche humanitären Hilfslieferungen blockiert. Zwar wurden jetzt wieder erste Versorgungstransporte zugelassen. Doch Nahrungsmittel und andere lebensnotwendige Güter sind weitestgehend aufgebraucht. Selbst Gas zum Kochen fehlt – Hilfsorganisationen verbrennen Holzpaletten aus ihren Lagerhäusern, um auf dem Feuer warme Mahlzeiten für die Zivilbevölkerung zubereiten zu können.
Anstatt sämtliche an der Grenze bereitstehenden Lastwagen mit internationalen Hilfsgütern umgehend in den Gazastreifen zu lassen, diskutieren die israelische und US-amerikanische Regierung darüber, die Versorgung der Zivilbevölkerung komplett neu zu organisieren. An bestimmten Standorten soll eine neu gegründete Stiftung mit Sitz in Genf mit Unterstützung privater Sicherheitsfirmen einmal in der Woche Lebensmittelpakete verteilen. Gemäss Medienberichten schliesst das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten eine Beteiligung an diesem Vorhaben nicht aus.

Caritas Schweiz spricht sich klar gegen diese Pläne und eine Schweizer Beteiligung aus, aus vier Gründen:
- Es widerspricht grundlegenden Prinzipien der humanitären Hilfe wie Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, dass eine involvierte Kriegspartei bestimmt, wer Hilfe leisten darf und wer nicht. Das hätte eine Politisierung der Hilfe zur Folge.
- Die bestehenden Hilfsmechanismen funktionieren. Ein Beispiel: Während der Waffenruhe Anfang 2025 sind täglich Hunderte Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gelangt. Dank der jahrzehntelangen Erfahrung in diesem komplexen Kontext wissen vor Ort ansässige internationale Hilfsorganisationen exakt, was die notleitende Zivilbevölkerung am dringendsten benötigt und wie sie am effektivsten unterstützt werden kann.
- Hilfsgüter nur an bestimmten Standorten zu verteilen, hätte gravierende Folgen für Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, zum Beispiel kranke, ältere, schwächere oder verletzte Menschen, die nicht zu den Standorten kommen können.
- Laut den derzeitigen Plänen ist vorgesehen, die Zahl der Gütertransporte in den Gazastreifen im Vergleich zur Waffenruhe zu verringern. Folglich sollen auch pro Person weniger Lebensmittel verteilt werden, als es die humanitären Standards verlangen.
Lichtblicke: Wiederaufbau von Gesundheitszentren und Prothesen für Schwerverletzte
Auch das Gesundheitssystem im Gazastreifen ist fast komplett zusammengebrochen und unter massivem Druck. Erst jüngst, in der Nacht auf den 18. Mai, musste Caritas Jerusalem – eine Partnerorganisation von Caritas Schweiz – zwei ihrer medizinischen Versorgungspunkte verlegen, nachdem das Gebiet bombardiert wurde.
«Ich litt über ein Jahr, konnte nicht laufen und nirgends hin. Es ging mir psychisch schlecht, ich weinte oft den ganzen Tag. Die Prothese schenkt mir wieder Zuversicht. Meine mentale Gesundheit verbessert sich Stück für Stück.»Riham Zarndah
Dennoch gibt es Lichtblicke. So hat Caritas Jerusalem mit Unterstützung von Caritas Schweiz das im Krieg zerstörte Gaza Medical Center wiederaufgebaut. Die Eröffnung war am 10. Mai. Caritas Jerusalem leistet zudem weiterhin psychologische Betreuung für die Zivilbevölkerung und versorgt sie medizinisch mit dem Nötigsten. Möglich ist das dank lokaler Mitarbeitender, bestehender Netzwerke und der Vorräte, die während der Waffenruhe im Februar 2025 aufgefüllt wurden.
Auch für Schwerverletzte leistet Caritas Jerusalem lebensnotwendige Hilfe. Dies in Zusammenarbeit mit dem «Artificial Limbs and Polio Center» in Gaza. Dort erhalten Personen, die einen Arm oder ein Bein verloren haben, eine Prothese, die vor Ort hergestellt wird. Bisher konnte Caritas Jerusalem 140 Menschen unterstützen, der Grossteil davon Kinder. Der Bedarf wäre jedoch viel höher: Schätzungen zufolge sind im Gaza-Krieg bis heute 110'000 Menschen verletzt worden, darunter rund 4'500 Personen, denen ein Körperteil amputiert werden musste.

Was eine Prothese bewirken kann, zeigt das Beispiel von Khamees Al-Farran, einem Jungen aus dem Gazastreifen, der bei einer Explosion sein linkes Bein verlor. «Ich habe meine Geschwister und Eltern immer unterstützt und Essen oder Wasser nach Hause getragen. Das ging dann aber nicht mehr», sagt er gegenüber Caritas-Jerusalem. «Als ich die Prothese erhielt, war ich überglücklich. Endlich kann ich wieder meiner Familie helfen.»
Auch Riham Zarndah, eine junge Mutter, schildert, wie sie mit ihrer Beinprothese wieder Unabhängigkeit erlangte. «Ich litt über ein Jahr, konnte nicht laufen und nirgends hin. Selbst auf die Toilette zu gehen, war sehr schwierig, ich stolperte oft oder fiel hin. Es ging mir psychisch schlecht, ich weinte oft den ganzen Tag. Die Prothese schenkt mir wieder Zuversicht. Meine mentale Gesundheit verbessert sich Stück für Stück.»
Geschrieben von Niels Jost, Mitarbeiter Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Caritas Schweiz
Gerne vermitteln wir Interviews und beantworten Medienanfragen: medien@caritas.ch
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Titelbild: Im Gaza-Krieg haben Hunderte Kinder wie Khamees Al-Farran ein Körperteil verloren. © Caritas Jerusalem