Fluchterfahrungen verarbeiten und in den Schulalltag finden
Im Haus der Bildung und Integration (HBI) der Caritas Schweiz in Matran (FR) besuchen Kinderflüchtlinge die Vorschule. Zwei Lehrerinnen kümmern sich hier um asylsuchende Kinder im Alter von 4 bis 15 Jahren. Die Vorschule soll den Kindern einen von Wohlwollen geprägten Empfang bereiten und sie bestmöglich auf die reguläre Schule vorbereiten.
Die ersten Monate nach Ankunft im Kanton Freiburg verbringen die Flüchtlingsfamilien in Matran im Saanenland. In dieser Zeit können sie sich erholen und mit dem neuen Leben vertraut machen, das für sie beginnt. Während ihres Aufenthalts im HBI besuchen die Kinder eine Vorschulklasse. Dort werden sie insbesondere in Französisch und Mathematik unterrichtet und erfahren, wie das gesellschaftliche Miteinander in ihrer neuen Heimat funktioniert. Die Schülerinnen und Schüler werden je nach Alter und Bildungsbedarf unterschiedlichen Gruppen zugeteilt und besuchen die Schule während 4 bis 12 Stunden pro Woche. Darüber hinaus gibt es ein Betreuungsangebot für kleinere Kinder.
Geprägt von einem Leben im Exil
Die Kinder in der Vorschulklasse haben eines gemeinsam: Sie haben ein Leben im Exil geführt. Sie alle waren mit Diskriminierung konfrontiert, und in ihrem Leben herrschte weder Normalität noch gab es irgendwelche Zukunftsperspektiven. Oft haben sie die Schule abgebrochen, sind gar Analphabeten oder leiden unter den Narben, die ihnen in einer von Ungerechtigkeit und Gewalt geprägten Schule zugefügt wurden. Diese Kinder benötigen eine von Wohlwollen geprägte sozialpädagogische und schulische Begleitung, bei der sowohl ihr persönlicher Hintergrund als auch ihr jeweiliges Potenzial berücksichtigt wird. Trotz ihrer Vergangenheit zeigen sie einen unbändigen Drang, ihre Schulausbildung fortzusetzen.
Die Lehrkräfte tragen in dieser Vorschulphase der Realität dieser Kinder stets Rechnung. So sollen sie nebst dem blossen Erlernen der französischen Sprache vor allem auch in ihrer Individualität begleitet werden und die Zeit haben, die sie brauchen, um wieder in den Schulalltag zurückzufinden. Die Mütter und Väter ihrerseits werden dabei unterstützt, sich mit ihrer Rolle als Eltern schulpflichtiger Kinder im Kanton Freiburg vertraut zu machen. Für die Lehrkräfte in der Vorschule stehen die Aufnahme der Kinder in der Klasse und der Aufbau einer Beziehung im Mittelpunkt. Dabei wird stark auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler eingegangen. Man passt sich ihren individuellen schulischen und sozialen Bedürfnissen an, und sie erhalten auch Raum, um ihre Emotionen zuzulassen.
Die richtigen gesellschaftlichen Codes kennen
Ein Kind kann mithilfe der Vorschule wieder Fuss fassen. Allerdings ist sie mit Blick auf die gesamte schulische Laufbahn nur ein kleiner erster Schritt. Die Schülerinnen und Schüler haben es vor allem ihrer eigenen Resilienz und Anpassungsfähigkeit zu verdanken, dass sie die Herausforderungen auf dem Weg der schulischen Integration bewältigen können. Ein Kind muss sich selbst mit den Verhaltensregeln vertraut machen, die an der Freiburger Schule gelten – mitunter ein Kulturschock, den es zu verarbeiten gilt. Es ist auch nicht einfach, neue Freunde zu finden, wenn man als Flüchtling aus einem Land kommt, in dem womöglich ganz andere Sitten und Gebräuche herrschen. Es kann seine Zeit dauern, bis man den richtigen «Schlüssel» findet, der einem die Tür zur Gesellschaft öffnet. In dieser Situation ist das Kind weitgehend auf sich alleine gestellt.
Die hiesigen Gepflogenheiten kennen hilft bei der Integration
Die Vorschule kann jedoch die Integration der Schülerinnen und Schüler erleichtern. Es zeigt sich, dass nebst dem Erlernen der Sprache auch die Beschäftigung mit den hiesigen Gepflogenheiten einen starken Einfluss auf die schulische Integration hat. So werden dem Wissen über das gesellschaftliche Miteinander und dem Aufbau einer gesunden und von einem Sicherheitsgefühl geprägten Beziehung zur Schule hohe Bedeutung beigemessen. Ebenso wichtig ist es aber, dass die Lehrkräfte später in der regulären Schule über den Hintergrund der jeweiligen Schülerinnen und Schüler und ihrer Familien ins Bild gesetzt werden. Daher gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Schulen, die diese Kinder aufnehmen, so eng wie möglich. Freiburg ist ein kleiner Kanton, und wir erhalten immer wieder Rückmeldungen von ehemaligen Schülerinnen und Schülern. Diese sind so vielfältig wie die Profile der Kinder selbst und betreffen sämtliche Aspekte des schulischen Erfolgs. Ein Jugendlicher, der einst die Vorschule hier besuchte und im Libanon eine gute Schulbildung erhalten hatte, absolvierte zum Beispiel im Sommer die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium. Dann gibt es aber auch andere, die kurz vor einem Schulabbruch stehen.
Die Tätigkeit der Lehrerinnen ist beseelt von all den Dingen, die man sich für diese Kinder wünscht – von einer offenen Gesellschaft, die Chancengleichheit garantiert, einer Gesellschaft, in der die Kinder die Wertschätzung und Anerkennung erhalten, die sie verdienen. Die neuen Schülerinnen und Schüler sollen daher auch grosse Träume haben und nie aufhören, an sich zu glauben.
Geschrieben von Margaux Maradan und Émilie Romanens
Titelbild: © Nicolas Brodard