Lebanon, 2022
Lebanon, 2022

Der Gaza-Konflikt wirkt sich auf den Libanon aus

Caritas Schweiz hält Ressourcen für humanitäre Hilfe bereit

Der Konflikt im Gazastreifen verursacht unermessliches Leid für die Zivilbevölkerung. Auch die humanitäre Lage im Libanon spitzt sich durch die zunehmende Gewalt verschiedener Akteure zu. Derzeit kann Caritas Schweiz ihre laufenden Projekte im Libanon mit kleinen Einschränkungen weiterführen. Gleichzeitig klären die Mitarbeitenden vor Ort mögliche weitere Unterstützung der Zivilbevölkerung ab.

Der andauernde Konflikt im Nahen Osten weitet sich zusehends auf den Libanon aus. Die gegenseitigen militärischen Angriffe führten bis heute insbesondere im Süden Libanons zu zahlreichen Todesopfern und erheblichen Sachschäden an der Wasser-, Strom- und Telekommunikationsinfrastruktur. Fast 100'000 Menschen wurden intern vertrieben in mittlere und nördliche Regionen. Verschiedene Staaten haben in den letzten Tagen zur Evakuierung ihrer Landsleute aus dem Libanon aufgerufen. Die drohende regionale Eskalation des Konflikts hätte für die libanesische Bevölkerung weitreichende Folgen.

Wael Darwish
«Caritas Schweiz hält Ressourcen für die humanitäre Hilfe bereit.»Wael Darwishländerdirektor

Die laufenden Projekte der Caritas Schweiz im Libanon werden aktuell mit kleinen Einschränkungen weitergeführt. Die Sicherheitslage ist jedoch unübersichtlich und die Situation kann sich täglich ändern, sodass Projektaktivitäten stetig angepasst werden müssen. Unser Team vor Ort klärt eine mögliche weitere Unterstützung der Zivilbevölkerung ab. Die Mitarbeitenden beobachten und analysieren die Lage vor Ort genau, um die Not der Menschen im Fall einer weiteren Eskalation rasch lindern zu können.

Wael Darwish, als Länderdirektor kennen Sie die Lage vor Ort genau. Wie erleben Sie die Situation der Zivilbevölkerung derzeit?

Die Zivilbevölkerung im Libanon ist von den anhaltenden Feindseligkeiten stark betroffen. Seit der Gewalteskalation im Oktober 2023 wurden fast 100’000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben und über 100 Zivilisten getötet. Viele der intern Vertriebenen sind auf wirtschaftliche Unterstützung angewiesen. Sie benötigen dringend Wohnraum und Lebensmittel. Die angespannte Situation und die anhaltende Unsicherheit belasten die Menschen auch psychisch.

Der gewalttätige Konflikt fällt in eine Zeit, in der die libanesische Bevölkerung immer noch mit den Auswirkungen des finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs von 2019 zu kämpfen hat, mit einer stetigen Verschlechterung der sozialen Stabilität und zusätzlichen Erschütterungen, wie zum Beispiel der Explosion im Beiruter Hafen 2020. All diese Faktoren führen dazu, dass die Stimmung im Land sehr bedrückend ist.

Wie verhält sich Caritas Schweiz im Wissen darum, dass die Lage in der Region so volatil ist?

Caritas Schweiz eröffnete 2016 ein eigenes Büro in Beirut. Seitdem haben wir mit der Unterstützung der Schweizer Bevölkerung und unseren Partnerorganisationen auf diverse Notsituationen reagiert, unter anderem auf die Explosion in Beirut und das Erdbeben in Syrien. Wir stehen mit unseren lokalen Partnerorganisationen im Kontakt, um für den Fall einer Eskalation vorbereitet zu sein. Wir ermitteln den möglichen Bedarf, koordinieren mögliche Massnahmen mit anderen Akteuren vor Ort und führen bereits Gespräche mit Geldgebenden. Gleichzeitig werden unsere laufenden Projekte fortgesetzt und stetig angepasst.

Welche Hilfe könnte Caritas Schweiz im Fall einer Eskalation konkret leisten und wie?

Aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen verfügen wir über eine grosse Reichweite im Land und eine schnelle Reaktionsfähigkeit. Zudem ist Caritas Schweiz eine der führenden Akteure im Bereich Bargeldhilfe in der Region. Die bestehenden Strukturen ermöglichen es uns, in Notsituationen umgehend Bargeldhilfe für vertriebene und konfliktbetroffene Haushalte zu leisten. So erhalten die Betroffenen schnell finanzielle Mittel, um ihre dringendsten Grundbedürfnisse zu befriedigen. Sollten die Märkte ins Wanken geraten, könnte Caritas Schweiz auf die Verteilung von Sachleistungen zurückgreifen.

Wie wirkt sich die aktuelle Unsicherheit auf unsere Projekte und die Zivilbevölkerung aus?

Der Libanon befindet sich in der schwersten sozioökonomischen Krise seit Jahrzehnten. Die Mehrheit der Bevölkerung war bereits vor der aktuellen Situation mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage konfrontiert. Das UNHCR schätzt, dass die Hälfte der libanesischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Auch Menschen, die in den letzten Jahren von Syrien in den Libanon flohen, stehen vor grossen Herausforderungen. 90 Prozent von ihnen benötigen humanitäre Hilfe, um ihre Grundbedürfnisse zu decken.

Insbesondere die nun intern Vertriebenen aus dem Südlibanon und die Regionen, die diese Menschen aufnehmen, sind mit Armut und grossen Einschränkungen beim Zugang zu Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung und weiteren grundlegenden Dienstleistungen konfrontiert. Steigende Preise und teurere Mietverschärfen die Lage. Durch die anhaltenden Auseinandersetzungen, Instabilität und Unsicherheit ist leider keine Entlastung in Sicht.

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Titelbild: Libanon, 2022 © Ghislaine Heger