«Das einzige Konstante ist die Veränderung»
Im Asylzentrum Biberhof wohnen je nach Belegung bis zu 70 Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge, Frauen, Männer und Familien. Zum grössten Teil finden unbegleitete Minderjährige Asylsuchende (UMA) im Biberhof ihr vorübergehendes Zuhause. Eine Sozialpädagogin von Caritas Schweiz berichtet aus ihrem Alltag mit den Kindern und Jugendlichen, die ohne ihre Eltern aus der Heimat geflüchtet sind.
Es ist 6:30 Uhr im Asylzentrum Biberhof, die ersten Jugendlichen machen sich bereit für die Schule. Das Frühstück wurde bereits von Mitarbeitenden des Nachtdienstes bereitgestellt. Die Mehrzahl der vorwiegend männlichen Jugendlichen ist motiviert morgens aufzustehen, um die Schule zu besuchen. Ihr Ziel ist es, möglichst schnell die Sprache zu erlernen, zu einem späteren Zeitpunkt ein Praktikum oder eine Lehrstelle zu finden, um dann ein selbständiges Leben in der Schweiz führen zu können. Der Weg dahin ist jedoch nicht immer leicht und die Integration in den Schweizer Alltag dauert meist viel länger als von den Jugendlichen erhofft. Geduld ist ein Begriff, welcher den jungen Zentrumsbewohnern schnell ans Herzen gelegt wird und der den Jugendlichen während ihres Zentrumsaufenthaltes immer mal wieder in Erinnerung gerufen werden muss.
Die Realität in der Schweiz schaut oft anders aus als die Vorstellung davon
Nicht zu wissen, wie es mit der Zukunft in der Schweiz weitergeht, ist eine grosse Belastung. Sie erfordert Geduld, die an mehreren Orten unter Beweis gestellt werden muss. Nicht nur in der Schule, wo sie als teilweise gänzlich schulungewohnte Teilnehmer ganz von vorne starten, sondern auch bei ihrem Asylprozess. Mit dem beschleunigten Asylverfahren wissen zwar die meisten innerhalb absehbarer Zeit, ob sie in der Schweiz Schutz erhalten. Jedoch gibt es nach wie vor viele Schutzsuchende, die Monate, sogar Jahre auf einen Entscheid warten. Dies ist für die Geflüchteten ein grosser Stress, da sie nicht wissen, ob und wie es für sie weitergeht in der Schweiz. Neben diesem stetigen Druck bringen die Jugendlichen meist psychische Belastungen wie traumatisierende Erlebnisse aus der Heimat oder von der Flucht mit.
Viele Jugendliche haben anfänglich Schwierigkeiten, sich an ihr neues Zuhause im Zentrum und den Alltag zu gewöhnen. Die Realität vom Leben in der Schweiz entspricht vielfach nicht dem Bild, welches sie sich aufgrund von Erzählungen gemacht haben. Schweizer Verbindlichkeit und Pünktlichkeit müssen erst erlernt werden. Eine Vielzahl der jungen Geflüchteten ist in psychologischer Behandlung. Dies stellt auch für Mitarbeitende grosse Herausforderungen dar, da eine angemessene Einszueins-Betreuung für diese vulnerablen Jugendlichen unmöglich ist im gegebenen Rahmen.
Die Balance zwischen Erziehung, Fürsorge und Auftrag ist schwierig zu finden. Auch die nötige Abgrenzung. Auch mit dem Wissen, dass jede und jeder Geflüchtete eine persönliche, meist schwierige Geschichte mitbringt, bleibt das Wichtigste für das Team der Fokus auf den Auftrag. Nicht immer ist es einfach, sich nicht von Schicksalen und Emotionen überwältigen zu lassen. Und doch ist es genau das, was diese jungen Menschen jetzt dringend brauchen, um den nötigen Halt und die Orientierung auf ihrem Weg zu finden. Dazu gehören auch alltägliche Regeln und Ehrziehungsaufgaben, welche nicht immer auf Freuden stossen. Jedoch kann das Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe nur realisiert werden, wenn die jungen Bewohnerinnen und Bewohner auch mit den weniger erfreulichen Dingen des Alltags bekannt werden – wie zum Beispiel die täglichen Ämtli und einfachen Hausregeln. So sind sie nach ihrem Aufenthalt im Zentrum gut vorbereitet auf die Realität eines selbständigen Lebens in einer Schweizer Gemeinde.
Neue Konflikte in der Welt bedeuten neue Flüchtlingswellen
Die Arbeit in einem Asylzentrum kann an einem Tag spannend, anstrengend, bereichernd und ermüdend zugleich sein. Kein Tag gleicht dem anderen und das einzige Konstante ist die Veränderung. Die Mitarbeitenden müssen viel Flexibilität beweisen, Systeme und Arbeitsabläufe müssen stets von neuem evaluiert und angepasst werden.
Neue Konflikte in der Welt bedeuten neue Flüchtlingswellen, was sich wiederum auf die Belegung und die Konstellationen im Zentrum auswirkt. Je nach Belegungssituation entstehen auch ethische Konflikte untereinander. Während der Corona-Pandemie mussten alle – Mitarbeitende sowie die Bewohnerinnen und Bewohner – ihre Komfortzonen verlassen. Beide Seiten mussten neu lernen, mit Nähe, Distanz und vielen nicht immer gewünschten Regeln umzugehen. Immer wieder kommen neue Jugendliche im Zentrum an oder sie sind bereit für ein selbständiges Leben, und verlassen das Zentrum. Das heisst, die Zimmerverhältnisse werden enger oder neue Gruppen müssen geformt werden. Was am Ende bleibt ist der Wunsch eines jeden Bewohners, einer jeden Bewohnerin, früher oder später ein erfülltes und sicheres Leben in der Schweiz zu führen.
Geschrieben von Andrea Gull