Afghaninnen Asyl zu gewähren ist richtig

Staatssekretariat für Migration hat die Praxis den internationalen Empfehlungen angepasst

Die Situation für Frauen in Afghanistan wird immer prekärer und UN-Organisationen betonen ihren besonderen Schutzbedarf. Die Schweiz hat diesen Sommer ihre Praxis an jene ihrer Nachbarländer angepasst. Diese Neubeurteilung ist eine wichtige Errungenschaft für die Betroffenen.

Geflüchtete Afghaninnen sind seit dem Herbst im Fokus der Schweizer Politik. Grund dafür ist eine Neubeurteilung ihrer Gefährdung durch das Staatssekretariat für Migration (SEM), die teils heftige politische Reaktionen auslöste. Der grosse Aufruhr erstaunt, da es triftige Gründe gibt, warum die Flüchtlingseigenschaften von Frauen aus Afghanistan anerkannt werden. Die Anerkennung ist für die betroffenen Afghaninnen individuell enorm wichtig. Aber auch über die Einzelfälle hinaus, wird damit unterstrichen, dass Frauen im Fluchtkontext mit teils sehr spezifischer Bedrohung konfrontiert sind. Ein Fakt, dem das Schweizer Asylgesetz bereits Rechnung trägt, indem es explizit die frauenspezifischen Fluchtgründe betont.

Die Situation für Frauen in Afghanistan hat sich massiv verschlechtert

Warum kam es zu dieser Praxisänderung? Grund dafür ist die prekäre Situation für Frauen in Afghanistan, die sich seit der Machtübernahme der Taliban stetig verschlimmert. Dies haben unter anderem mehrere UN-Sonderberichterstattende sowie die Europäische Asylagentur (EUAA) im Januar dieses Jahres festgehalten und einen besonderen Schutz für Afghaninnen gefordert. Seither haben viele EU-Staaten inklusive aller Nachbarländer der Schweiz ihre Praxis entsprechend angepasst.

Seit Juni 2023 wird Afghaninnen auch in der Schweiz grösstenteils Asyl gewährt und sie werden als Flüchtlinge gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Nach wie vor durchlaufen sie ein individuelles Asylverfahren, bei dem ihre Aussagen und ihre individuelle Gefährdung akribisch geprüft werden. Neu wird ihnen aber attestiert, dass sie sowohl «Opfer diskriminierender Gesetzgebung» als auch Opfer «religiös motivierter Verfolgung» sein können. Zuvor wurde Afghaninnen meist kein Asyl zugestanden. Da aber auch damals klar war, dass eine Rückkehr nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich ist, erhielten sie eine vorläufige Aufnahme. Auch die allermeisten Menschen mit einer vorläufigen Aufnahme können nie oder über viele Jahrzehnte nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, allerdings werden sie in vielen Bereichen des Lebens massiv benachteiligt. Weil dieser Aufenthaltstitel weder den Schutzbedarf angemessen anerkennt noch die benötigte langfristige Sicherheit bietet, plädiert Caritas schon lange die vorläufige Aufnahme durch einen humanitären Schutzstatus zu ersetzen.

Viel Kritik, wenig inhaltliche Berechtigung

Gegen die Anerkennung von Afghaninnen gab es diverse Vorstösse im Parlament. Da die Praxisänderung auf sehr klaren Hinweisen beruht und auch im Einklang mit vielen EU-Staaten steht, überrascht die Kritik. Die Vorstösse bestreiten dann auch weniger, dass Afghaninnen der Flüchtlingsschutz zusteht. Es werden aber Befürchtungen geäussert, dass es zu einer deutlichen Zunahme an Asylanträgen von Afghaninnen und zusätzlichen Familiennachzügen kommen werde. Oder es wird moniert, dass die Mitsprache von Kantonen und Parlament bei solchen Praxisänderungen fehle. Dass der Entscheid des SEM deutlich mehr Afghaninnen dazu animiert, statt in einem anderen EU-Land in der Schweiz Asyl zu beantragen, ist angesichts der vergleichbaren Praxis in den Nachbarländern nicht plausibel. Dass es zu einer Vielzahl von Familiennachzügen kommt, ist ebenfalls unwahrscheinlich. Die Zahlen zeigen, dass die allermeisten Afghaninnen im Familienverbund fliehen und von den wenigen Alleineinreisenden die allermeisten unverheiratet sind. So ist seit Juli 2023 lediglich für etwa ein Dutzend afghanische Männer ein Familiennachzug beantragt worden.

Für Caritas ist aber ohnehin klar, dass eine Beurteilung, ob jemandem der Flüchtlingsschutz gewährt wird, weder von konstruierten potenziellen Nebeneffekten noch von der politischen Grosswetterlage bestimmt werden darf. Das Staatssekretariat für Migration hat die Aufgabe die individuelle Gefährdung bestmöglich abzuschätzen und das nationale wie internationale Recht zu respektieren. Die unabhängige Justiz, insbesondere das Bundesverwaltungsgericht, hat die Aufgabe, diese Praxis zu prüfen. Darum stehen wir einer Konsultation von Kantonen oder parlamentarischen Kommissionen zur Asylrechtsanwendung kritisch gegenüber.

Wie wichtig die Anerkennung für die afghanischen Frauen ist, zeigte sich in den letzten Monaten. Viele bereits hier lebende, aber vorläufig aufgenommene Afghaninnen liessen ihr Asylgesuch erneut prüfen, um so doch noch die ihnen zustehende Anerkennung zu erhalten.

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Titelbild: © Georg Hofer