Vorläufig Aufgenommene sind Schutzbedürftige
Aktuell sind vorläufig Aufgenommene vermehrt Ziel von politischen Vorstössen. Dabei werden sie als abgewiesene Asylsuchende bezeichnet, die angeblich kein Recht auf einen dauerhaften Verbleib in der Schweiz haben. Zu Unrecht: Diese Menschen sind klar und eindeutig auf den Schutz der Schweiz angewiesen. Zielführender als fragwürdige Verschärfungen wäre ein echter Schutzstatus.
Warum kehren Menschen, die als «vorläufig Aufgenommen» gelten, nicht nach kurzer Zeit in ihr Heimatland zurück? Der scheinbare Widerspruch löst sich bei näherer Betrachtung rasch auf. Er basiert auf einer irreführenden Bezeichnung des Aufenthaltstitels - und nicht an einem fehlenden Schutzbedarf.
Vertrieben aus Krisengebieten
Vorläufig Aufgenommene kommen zum grössten Teil aus Ländern, in denen es aufgrund von Kriegen und politischen Umwälzungen grosse humanitäre Krisen gibt. Solche Krisen ziehen sich über viele Jahre und Jahrzehnte hin. Dies zeigt ein Blick auf die Herkunftsländer. So stammen rund 60 Prozent der vorläufig Aufgenommenen, die in den letzten sieben Jahren einreisten, aus Afghanistan. Weitere 20 Prozent aus den Herkunftsländern Syrien, Somalia und Eritrea, ebenfalls Länder mit langjährigen politischen und gesellschaftlichen Krisen. Entsprechend sind diese Menschen auf den langfristigen Schutz der Schweiz angewiesen. In der Praxis zeigt sich, dass die überwiegende Mehrheit dauerhaft in der Schweiz bleibt. Dies liegt nicht am mangelnden Effort der Schweizer Behörden bei Rückführungen. Es ist der Realität geschuldet, dass Kriege und Krisen sehr lange dauern und eine Rückkehr in solche Gebiete unzulässig oder unzumutbar bleibt.
Es fehlt ein Schutzstatus
Dass diese Menschen nun, trotz der offensichtlich langfristigen Schutzbedürftigkeit als vorläufig Aufgenommene gelten, liegt daran, dass es in der Schweiz keinen passenden Schutzstatus gibt. Die vorläufige Aufnahme wird immer dann erteilt, wenn die strengen Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention nicht erfüllt sind, die Personen aber dennoch nicht in ihren Heimatstaat zurückkehren können. Konkret heisst das in den allermeisten Fällen, dass Personen zwar aufgrund der Umstände im Heimatland gefährdet und schutzbedürftig sind, sie aber keine individuelle Verfolgung nachweisen können.
Wer nur vorläufig aufgenommen ist, lebt jedoch weiterhin prekär. Massiv tiefere Sozialhilfeleistungen, keine freie Wohnsitzwahl, rigide Reisebeschränkungen auch ins nahe Ausland, grosse Hürden beim Familiennachzug kommen zur irreführenden Bezeichnung dazu.
Die Europäische Union hat für solche Menschen einen eigenen subsidiären Schutzstatus eingeführt. In der Schweiz wurde 2016 eine ähnliche Regelung diskutiert, vom Parlament trotz anerkanntem Bedarf aber nicht beschlossen. Zwar gab es ein Umdenken bei der beruflichen Integration. Hürden beim Arbeitsmarktzugang wurden abgebaut und die Integrationsförderung deutlich erweitert. Wer nur vorläufig aufgenommen ist, lebt jedoch weiterhin prekär. Massiv tiefere Sozialhilfeleistungen, keine freie Wohnsitzwahl, rigide Reisebeschränkungen auch ins nahe Ausland, grosse Hürden beim Familiennachzug kommen zur irreführenden Bezeichnung dazu. Im Herbst hat eine bundesrätliche Evaluationsgruppe den Anpassungsbedarf erneut bestätigt.
Symbolpolitik auf Kosten von Familien
Dass die Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» ein wirklich grosses Problem ist, zeigt sich in der aktuellen politischen Debatte. Vorläufig Aufgenommene werden als abgewiesenen Asylsuchende bezeichnet und es ist fälschlicherweise die Rede von illegaler Migration und Asylmissbrauch. In einer Motion wurde gar ein Verbot des Familiennachzugs für vorläufig Aufgenommene gefordert, was der Ständerat am 18. Dezember 2024 ablehnte. Dies hätte der Verfassung widersprochen. Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits die aktuelle Praxis kritisierte, die den Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene so erschwert, dass er für viele kaum möglich ist.
Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten fliehen, haben ein Anrecht auf dauerhaften Schutz, denn wenn sie dorthin zurückkehren, sind persönlich bedroht. Ihrem dauerhaften Schutzbedarf wird die vorläufige Aufnahme nicht gerecht. Dass ihr die Schweiz keinen echten Schutzstatus zugesteht, darf nicht als Argument dafür zurechtgebogen werden, ihre Rechte weiter einzuschränken. Gerade das Recht auf Familie ist ein hohes Gut. Eine weitere Beschneidung wäre unmenschlich, völkerrechtswidrig und unverhältnismässig.
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Titelbild: © Pia Zanetti