Bundeshaus in Bern

Politisches Engagement

Caritas setzt sich für eine Politik ein, die auf sozial benachteiligte Menschen im In- und Ausland Rücksicht nimmt. Mit Analysen, Stellungnahmen und konkreten Vorschlägen arbeiten wir an Lösungen für eine solidarische Gesellschaft.

Interview

«Um Armut zu bekämpfen, braucht es politisches Engagement»

Interview mit Andreas Lustenberger, Leiter Grundlagen und Politik sowie Mitglied der Geschäftsleitung von Caritas Schweiz

Das politische Engagement der Caritas

Caritas Schweiz bringt sich gezielt in politische Debatten ein. Andreas Lustenberger erläutert, wie sie dabei im In- und Ausland die Anliegen armutsbetroffener Menschen vertritt.

Andreas Lustenberger, warum engagiert sich Caritas Schweiz auf politischer Ebene, anstatt all ihre Ressourcen in direkte Hilfe zu investieren?

Wir haben eine klare Vision: Eine Schweiz ohne Armut, eine Welt ohne Armut. Unsere Projekte leisten einen wichtigen Beitrag, doch gleichzeitig braucht es strukturelle und politische Veränderungen. Dank unseren vielfältigen Tätigkeitsfeldern kennen wir die Bedürfnisse benachteiligter Menschen sehr gut. So können wir ihre Alltagserfahrungen mit eigenen Analysen und offiziellen Statistiken zusammenbringen und daraus Lösungsvorschläge entwickeln. Die Politik ist auf die Sicht von Akteuren angewiesen, die nahe an den Themen dran sind.

Wie bringen Sie diese Lösungsvorschläge konkret in den politischen Diskurs ein?

Wir gehen direkt auf Mitglieder von National- und Ständerat zu, suchen das persönliche Gespräch, veranstalten Informationsanlässe, schreiben Briefe und E-Mails. Damit finden wir nicht immer nur Zustimmung, aber durchaus Gehör in allen Parteien. Zudem pflegen wir auf nationaler und kantonaler Ebene einen Aus- tausch mit Regierungen und der Verwaltung.

2024 waren Sie am Runden Tisch zum Thema Wohnen dabei, zu dem Bundesrat Parmelin eingeladen hatte. Ein Erfolg?

Die Einladung zeigt, dass wir in Bundesbern als glaubwürdige und kompetente Stimme für Armutsbetroffene wahrgenommen werden. Wir konnten darlegen, wie die immer weiter steigenden Mieten Menschen mit geringem Budget in die Armut treiben. Das ist durchaus ein Erfolg. Doch mit den Resultaten des Runden Tisches sind wir bisher nicht zufrieden.

Andreas Lustenberger, Mitglied der Geschäftsleitung, Caritas Schweiz
«Der politische Diskurs ist härter geworden, etwa gegenüber geflüchteten Menschen.»Andreas Lustenbergerleiter grundlagen und politik und mitglied der Geschäftsleitung von Caritas Schweiz

Im Sommer 2024 waren Sie Mitglied der Schweizer Delegation am UNO-Treffen zur Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Wie haben Sie diese Tage in New York erlebt?

Die Vereinten Nationen streben mit der Agenda 2030 an, Armut zu beenden. Das klingt vielleicht utopisch. Ich fand es allerdings motivierend, zu erleben, wie viele Leute sich dafür einsetzen. Wertvoll war auch der Austausch mit anderen NGOs. Ernüchternd hingegen war, zu sehen, dass Armut und Hunger nach der Pandemie wieder zugenommen haben. Innerhalb der Delegation versuchte ich, für Armut in der Schweiz zu sensibilisieren – und aufzuzeigen, dass wir dringend handeln müssen.

Ist das denn umstritten?

Es ist heute in breiten Kreisen anerkannt, dass hierzulande immer mehr Menschen in finanzielle Not geraten – nicht zuletzt, weil die Caritas seit Jahren den Finger auf den wunden Punkt legt. Gleichzeitig ist der Diskurs härter geworden, etwa gegenüber geflüchteten Menschen. Dass hier populistische Anliegen mehrheitsfähig werden, bereitet mir Sorgen.

Das Parlament hat 2024 die Asylpolitik verschärft und Einsparungen bei der Entwicklungszusammenarbeit beschlossen. Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?

In der Politik kann man nicht immer gewinnen, doch aus Misserfolgen lernen wir. Die Diskussion um die Entwicklungszusammenarbeit hat uns gezeigt, wie weit weg das Parlament von der Realität ist. Wir müssen besser erklären, wie unsere Projekte funktionieren und dass sie Wirkung erzielen.

Welche weiteren Ziele setzen Sie sich?

Wir wollen zeigen, wie viel Migrantinnen und Migranten in der Schweiz zum Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft beitragen. Zudem möchten wir bei der Umsetzung der Nationalen Armutsstrategie eine tragende Rolle spielen. Schliesslich werden wir uns vermehrt zu Klimamassnahmen äussern. Es braucht Lösungen, die für armutsbetroffene Menschen tragbar sind.

© KVI

Klima- und Entwicklungspolitik

Armutsbekämpfung und Klimapolitik hängen untrennbar zusammen

Klimapolitik ist Armutspolitik und damit ein Kernanliegen der Caritas. Die Klimakrise schafft neue Realitäten – und gerade den Ärmsten der Welt fehlen die Möglichkeiten, sich an diese anzupassen.

Klimakrise verstärkt Armut

Wie die Erderhitzung die Existenzgrundlage vieler Menschen bedroht, zeigte die ugandische Klimaaktivistin Evelyn Acham an einer Veranstaltung von Caritas Schweiz im November 2024 in Bern auf. Sie betonte:

Evelyn Acham, Climate Activist, Agape Earth Coalition
«In Uganda erleben wir jeden Tag, wie die Klimakrise die Armut der Menschen verstärkt. Armutsbekämpfung und der Stopp des Klimawandels sind nicht zwei Ziele, die separat behandelt werden können.»Evelyn AchamUgandische Klimaaktivistin

Acham sprach bei ihrem Besuch auch mit Mitgliedern des Nationalrats. Anlässlich der Klimakonferenz in Baku (Aserbeidschan) forderte die Caritas die Schweizer Delegation auf, sich für eine faire Klimafinanzierung einzusetzen.

Weniger Geld für Entwicklungszusammenarbeit

Eine von Krisen geprägte Welt verlangt nach einem verstärkten Engagement für Menschlichkeit. Doch die Schweizer Politik setzt gegenteilige Zeichen. Sowohl im Budget 2025 als auch in der Vierjahresstrategie zur internationalen Zusammenarbeit hat das Parlament beschlossen, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen. Gemeinsam mit Alliance Sud und anderen Entwicklungsorganisationen konnte Caritas Schweiz verhindern, dass weit höhere Kürzungsanträge eine Mehrheit fanden.

Zitat zur Bundespolitik

Peter Lack, Direktor Caritas Schweiz
«Die reiche Schweiz hat ein Armutsproblem. Jede sechste Person ist von Armut betroffen oder direkt gefährdet. (…) Die Schweizer Politik tut sich schwer damit, gezielt gegen Armut zu handeln.»Peter LackDirektor Caritas Schweiz

Publiziert in einem Gastbeitrag zur Armutsbekämpfung im «Tages-Anzeiger» und «Bund» vom 18. September 2024

© iStock

Sozial- und Migrationspolitik Schweiz

Weg frei für eine Nationale Armutsstrategie

Caritas Schweiz fordert seit Jahren eine Nationale Armutsstrategie. 2024 fand sich in Bern endlich eine Mehrheit dafür: Das Parlament hat den Bundesrat mit der Ausarbeitung beauftragt – ein Erfolg für all jene, die ihren Lebensunterhalt in der Schweiz kaum finanzieren können. Weitergeführt wird auch die Nationale Plattform gegen Armut.

Armutsmonitoring, ein Modell macht Schule

Damit Bund, Kantone und Gemeinden Armut wirksam bekämpfen können, brauchen sie genaue Daten. Gemeinsam mit der Berner Fachhochschule hat Caritas Schweiz dafür ein Modell entwickelt. Die Kantone Basel-Landschaft und Wallis setzen dieses bereits ein, 2025 zieht Solothurn nach und auch der Aargau wird ein Armutsmonitoring einführen.

Prämienentlastung: Kantone gefordert

Die Krankenkassenprämien sind das dritte Jahr in Folge deutlich angestiegen; eine enorme Belastung für viele Haushalte. Caritas Schweiz hat sich für die Prämien-Entlastungs-Initiative ein- gesetzt, die einen indirekten Gegenvorschlag ermöglicht hat. Dieser kommt nun nach dem Nein an der Urne im Juni zum Zug. Er verpflichtet die Kantone, die Prämienverbilligung auszubauen.

Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene

Der Ständerat hat im Dezember eine Motion ab- gelehnt, die den bereits sehr restriktiv geregelten Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Personen gänzlich verbieten sollte. Die Caritas konnte zu diesem Erfolg im Kampf gegen unvertretbare Verschärfungen im Asylrecht beitragen.

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Titelbild: Bundeshaus in Bern © iStock