

«Nicht nur überleben, sondern auch mal leben»
Heute besitzen über 200’000 Menschen in der Schweiz eine KulturLegi. Was als einfache Ermässigungskarte begann, ist inzwischen ein Symbol für soziale Teilhabe. Im Interview blickt Marylise Schiesser auf ihr erstes Jahr als Leiterin der Geschäftsstelle zurück. Sie spricht über Community Building, die Chancen der Digitalisierung und erklärt, wie die KulturLegi Inklusion fördert.
Frau Schiesser, Sie leiten die Geschäftsstelle der KulturLegi seit zwölf Monaten. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?
Es war ein intensives, lehrreiches und bereicherndes Jahr. Ich kannte die KulturLegi zuvor nur von aussen und musste sie selbst nie beantragen. Heute weiss ich, wie viel Koordination, Organisation, Vernetzungsarbeit und Entwicklung dahintersteckt. Besonders beeindruckt hat mich aber die grosse Wirkung: Die KulturLegi ermöglicht über 200’000 Menschen ein Stück Normalität, Würde und gesellschaftliche Teilhabe.
Erst seit Kurzem zählt die KulturLegi mehr als 200'000 Nutzende – ein Grund zur Freude?
Das ist eine überwältigende Zahl, doch leider nicht nur im positiven Sinne. Die grosse Nachfrage zeigt, wie relevant unser Angebot ist. Gleichzeitig macht sie deutlich, wie viele Menschen in der Schweiz auf Unterstützung angewiesen sind. Eine KulturLegi erhält nur, wer nachweislich am oder unter dem Existenzminimum lebt. So erfreulich die Weiterempfehlungsrate der Nutzenden von 99 Prozent ist: Die wachsende Nachfrage ist auch ein Spiegel gesellschaftlicher Ungleichheit. Und das beschäftigt mich persönlich sehr.
Wie erleben Sie die Wirkung der KulturLegi?
Für viele ist die KulturLegi weit mehr als ein rotes Kärtchen im Portemonnaie oder der Zugang zum Caritas-Markt. Es geht um gesellschaftliche Teilhabe und Lebensqualität.

«Für jede Altersgruppe und jeden Geschmack gibt es etwas Passendes – und das schafft echte Inklusion.»Marylise Schiesserleiterin Geschäftsstelle kulturlegi
Die KulturLegi schafft für Menschen mit kleinem Budget vergünstigten Zugang zu schweizweit über 4'200 vielfältigen Angeboten in den Bereichen Sport, Kultur, Bildung und Gesundheit. Für jede Altersgruppe und jeden Geschmack gibt es etwas Passendes – und das schafft echte Inklusion. Ich denke dabei an Eltern, die dank der KulturLegi ihr Kind in ein Sportlager schicken können. Oder an ältere Menschen, die eine spannende Ausstellung im Museum besuchen.
Was hat sich in den letzten zwölf Monaten verändert?
Ein wachsender Fokus liegt auf dem «Community Building». Mit der Initiative «Gemeinsam mehr erleben» ermutigen wir Menschen mit KulturLegi, Freizeitaktivitäten zusammen zu geniessen und Freude zu teilen. Das fördert das Gemeinschaftsgefühl und baut Hemmschwellen ab, gerade für Menschen, die sonst eher allein unterwegs sind. Wir nehmen gezielt Gruppenangebote in das Programm auf und arbeiten mit Freiwilligen, die sich für Inklusion engagieren.
Wo sehen Sie noch Entwicklungspotential?
Ein grosses Thema ist die ungleiche geografische Verteilung: Viele Angebote konzentrieren sich auf städtische Räume. Wer auf dem Land lebt, ist auf den öffentlichen Verkehr angewiesen. Doch Mobilität ist teuer und deshalb oft ein grosses Hindernis, KulturLegi-Angebote zu nutzen. Diese Hürde wollen wir senken. Ein weiterer Fokus ist die Weiterentwicklung der digitalen KulturLegi – die Karte gibt es mittlerweile auch als bedienungsfreundliche Webapplikation. Dabei möchten wir zum Beispiel Prozesse effizienter gestalten und die Nutzung noch besser analysieren können.
Was motiviert Sie persönlich bei Ihrer Arbeit – und was wünschen Sie sich für die Zukunft der KulturLegi?
Es berührt mich immer wieder, zu spüren, wie konkret die KulturLegi das Leben von Menschen mit wenig Geld verändert. Sie ermöglicht Teilhabe, wo vorher Ausschluss war. Viele berichten, dass sie dank der KulturLegi nicht nur überleben, sondern auch mal leben können. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir unsere Angebote noch gezielter auf die realen Bedürfnisse abstimmen können, zum Beispiel durch digitale Lösungen, neue Partnerschaften und mehr Reichweite. Denn unser Ziel lautet: Niemand soll ausgeschlossen werden.
Geschrieben von Daria Jenni, Mitarbeiterin Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Caritas Schweiz
Gerne vermitteln wir Interviews und beantworten Medienanfragen: medien@caritas.ch
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Titelbild: Vergünstigt ins Schwimmbad mit der KulturLegi © Caritas Schweiz