Kinder leiden am meisten unter dem Krieg
Über 40 Prozent der Vertriebenen im Ukraine-Krieg sind Kinder. Die massive Gewalt ist für die Kinder schwierig zu verkraften. Nach über vier Monaten Krieg versuchen die Familien, inmitten aller Unsicherheiten, längerfristig Fuss zu fassen. Kinder brauchen psychosoziale Unterstützung und Perspektiven. In sechs Ländern hilft Caritas Schweiz Kindern aus der Ukraine.
«Was sollte ich meinen Kindern sagen? Wir können nicht raus gehen, draussen stehen Scharfschützen?», erinnert sich Svetlana an die Anfangszeit im Kriegsversteck. Als die ersten Bomben fielen, drehte Svetlana den Zeichentrickfilm im Fernsehen möglichst laut auf, um die Kriegsgeräusche zu übertönen. Doch für Svetlanas Kinder im kleinen Dorf Plakhtyanka, in der Nähe von Kyiv, wurde der Krieg schnell zur Realität. Die Kinder halfen, aus Bettlaken Bandagen für Verwundete herzustellen, und lernten das abgekochte Wasser zu rationieren. Gegen den Hunger lutschten sie ihren Vorrat an süssen Bonbons. Als die Angriffe heftiger wurden, harrten sie tagelang in ihrem Versteck aus. Mit Hilfe der Caritas ist Svetlana und ihren Kindern die Flucht gelungen. Doch die Schrecken des Krieges sitzen tief.
Für viele Kinder bleibt der Horror um sie herum unfassbar, auf der Flucht sind sie traumatischen Ereignissen ausgesetzt. «Warum werfen die seltsamen Onkel Bomben auf Häuser und Kindergärten?», fragt der kleine Ielysei seine Mutter. Caritas in der Ukraine bietet in ihren Zentren psychologische Unterstützung für Kinder an. Um traumatische Erlebnisse besser zu verarbeiten, malen und basteln die Kinderpsychologinnen mit ihren Schützlingen. In Gruppen erlernen sie Atemübungen und Gedankenspiele, auf die sie in Stresssituationen wieder zurückgreifen können. Spielnachmittage, Puppentheater und Ausflüge erleichtern den geflüchteten Kindern das Ankommen in einer neuen Stadt.
Betreuung von Waisenkindern und Kindern mit Behinderung
Besondere Aufmerksamkeit benötigen jene Kinder, die bereits vor dem Krieg in betreuten Institutionen lebten oder auf enge Begleitung angewiesen sind, darunter Waisenkinder und Kinder mit Behinderung. Der 14-jährige Ivan floh mit seiner Mutter nach Polen, nachdem eine Explosion die Fensterscheiben ihrer Wohnung herausgerissen hatte. Ivan ist Autist und auf Unterstützung und Medikamente angewiesen, was im Krieg eine grosse Herausforderung ist. Die stundenlange Reise war für Ivan eine Tortur. «Es war furchtbar, als der Zug nach Warschau ankam. Alle drängelten, um einen Platz zu erhalten», erzählt Ivans Mutter. Mitten in der Nacht kamen die beiden in einem Zentrum von Caritas Polen an. Das Caritas-Zentrum ist vorübergehend ihr Zuhause geworden, wo Ivan die nötige Unterstützung und Medikamente erhält.
Caritas Polen hat 700 besonders vulnerable Kinder und ihre Begleitpersonen aufgenommen. Die Kinder haben sich inzwischen in den Caritas-Zentren eingelebt, erklärt Monika Figiel von Caritas Polen. Aktuell arbeitet die Caritas mit Hochdruck an langfristigen Betreuungslösungen. Durch eine sorgfältige Planung und eine enge Zusammenarbeit mit allen Involvierten versucht sie, den Kindern zusätzlichen Stress durch mehrfaches Umziehen zu ersparen und ein stabiles Umfeld zu ermöglichen.
Schulbildung muss weitergehen
Jene Kinder, die ins Ausland flüchteten, versuchen sich ins lokale Schulsystem zu integrieren. In den Nachbarländern der Ukraine sprengt dies die Kapazitäten des Bildungssystems. In Rumänien können die Kinder zwar am Unterricht teilnehmen, die Schulen sind aber nicht ausgerüstet, um die Neuankömmlinge mit Sprachunterricht aufzufangen. Die Caritas unterstützt Familien deshalb bei der Eingliederung ins Schulsystem mit ergänzenden Integrationsaktivitäten. Auch in anderen Nachbarländern – in Polen, Moldawien und der Slowakei – unterstützt Caritas Schweiz die Betreuung der geflüchteten Kinder, um eine rasche Integration am neuen Lebensort zu ermöglichen.
Caritas-Projekte für ukrainische Kinder in der Schweiz
Um die berufliche und soziale Integration der Kinder und Mütter in der Schweiz zu fördern, hat Caritas neue Projekte eingeführt. Die Projekte können auch dank der finanziellen Unterstützung durch die Glückskette realisiert werden. Im Kanton Freiburg organisiert Caritas Schweiz spezifische Aktivitäten für das psychische Wohlbefinden von besonders vulnerablen Geflüchteten, die im Haus der Bildung und Integration in Matran wohnen. Auch die Kinderbetreuung wird ausgebaut, damit die ukrainischen Mütter Sprachkurse besuchen, Behördengänge erledigen oder Arbeit suchen können.
Die Jugendlichen aus der Ukraine haben die Möglichkeit – ebenso wie die jungen Geflüchteten anderer Herkunft –, sich für das Sommerlager von youngCaritas anzumelden. Für den kommenden Frühling ist ein weiteres Lager geplant. Caritas Aargau organisiert zum Beispiel den Treffpunkt DIALOG für Jugendliche oder das Patenschaftsprojekt «mit mir», in dessen Rahmen Freiwillige die Kinder bei ihrer Integration und im Schulalltag unterstützen können. Schliesslich profitieren die Familien auch von der KulturLegi der Caritas, die ihnen Zugang zu zahlreichen Freizeit- und Bildungsangeboten ermöglicht. So werden die Kinder und Jugendlichen unterstützt, neue soziale Netzwerke aufzubauen und schneller in der Schweiz zurechtzufinden.
Geschrieben von Lucia Messer und Fabrice Boulé
Titelbild: Projekte der Caritas in der Westukraine, Mai 2022. © Mickael Franci, Cordaid