In Haiti spitzen sich Gewalt und Hunger zu

Caritas Schweiz führt Hilfe trotz Blockaden und angespannter Sicherheitslage fort

Schwere Bandengewalt vor allem in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince führt zu extremer Instabilität im ganzen Land. Während die Wirtschaft am Rand des Kollapses steht, können viele Haitianerinnen und Haitianer ihre Ernährung kaum noch sichern. Caritas Schweiz führt ihre Hilfe wo immer möglich fort und prüft zusätzliche Nothilfemassnahmen.

«Meine einzige Sorge ist, etwas zu essen zu finden. Ich kann an nichts anderes mehr denken», sagt eine haitianische Mutter. Die Verzweiflung vieler Haitianerinnen und Haitianer ist riesig. Ihnen fehlt der Zugang zu lebenswichtigen Gütern – besonders zur Ernährung. Gemäss dem Welternährungsprogramm hungert jede zweite Person im Land. Und die Not nimmt täglich zu.

Gewalt, Inflation und Folgen früherer Naturkatastrophen

Denn das Land findet keinen Ausweg aus der akuten Staats- und Wirtschaftskrise. Im Gegenteil: Die Lage eskaliert rasch. Die von kriminellen Banden besetzte Hauptstadt Port-au-Prince ist fast komplett abgeriegelt. 160ʼ000 Menschen flohen vor der Gewalt – die meisten von ihnen in den Süden des Landes, wo auch Caritas Schweiz im August 2023 ihr Büro hinverlegt hat. Strassensperren verunmöglichen vielerorts den Transport wichtiger Güter.

Auch die Wirtschaft steht am Abgrund. Die Inflation im Land explodiert, die Preise steigen rasant. Ein akuter Treibstoffmangel treibt nicht nur die Kosten für den öffentlichen Verkehr in die Höhe, sondern führt auch zu Stromausfällen oder der Schliessung von Infrastruktur wie Spitälern.

Gleichzeitig kämpfen die Menschen noch immer mit den verheerenden Folgen des Zyklons Mathieu von 2016 und des Erdbebens von 2021. Die beiden Katastrophen zerstörten Häuser, Felder und Lebensgrundlagen.

Die Caritas-Hilfe läuft weiter trotz vorübergehender Blockade eines Projekts

Caritas Schweiz unterstützt die haitianische Bevölkerung seit Jahrzehnten mit Entwicklungsprojekten und humanitärer Hilfe nach Naturkatastrophen. Diese Arbeit ist in der aktuell fragilen Situation besonders anspruchsvoll. Ein neues Projekt im Südwesten des Landes zur Verbesserung der Existenzgrundlage von Fischerinnen und Fischern war im Frühjahr fast zwei Monate blockiert. Wegen der Abriegelung von Port-au-Prince konnten die notwendigen Güter nicht beschafft und das lokale Projektbüro nicht in Betrieb genommen werden. Vor drei Wochen gelang es schliesslich, das Material in den Süden zu transportieren, sodass das Projekt nun starten kann.

Im Departement Süd unterstützt die Caritas weiterhin 600 Kleinbauernfamilien dabei, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. So kann der Familienvater Fritz Emile mittlerweile seine Familie von der Landwirtschaft ernähren. Seinen Beruf als Lastwagenfahrer musste er wegen der angespannten Sicherheitslage aufgeben; zu gefährlich wäre er für ihn geworden. Fritz Emile erhielt Werkzeug, Saatgut und Stecklinge, aber auch zwei Ziegen.

Fritz Emile hat dank seiner Ziegen mehr Ernährungssicherheit gewonnen. © Caritas Schweiz

In Fortbildungen konnte er sein landwirtschaftliches Know-how erweitern. Er hat Zugang zu Tierärzten und anderen Fachpersonen. «Zudem wurde im Rahmen des Projekts eine Deckstation eingerichtet, bei der ich die Ziegen mit einer anderen Rasse kreuzen und so die lokale Rasse stärken kann», sagt Fritz Emile. «Beide meiner Tiere haben geworfen. Jetzt habe ich also vier Ziegen. Falls ich krank werde oder sonst in eine Notlage gerate, kann ich eine verkaufen und habe etwas Geld.» Das kann überlebenswichtig sein, gerade in Zeiten wie diesen.

Die Caritas prüft zusätzliche Nothilfemassnahmen im Süden

Um die Auswirkungen der aktuellen Krise für die Menschen besser zu verstehen und adäquat darauf reagieren zu können, evaluierte Caritas Schweiz im März die Situation im Projektgebiet. Dabei zeigte sich, dass unter anderem die Versorgung der aus der Hauptstadt geflüchteten Menschen Anlass zur Sorge gibt. Die Gemeinden in den südlichen Provinzen können die Vertriebenen nicht unterstützen. Oft musste die Lokalbevölkerung selbst bereits Vermögenswerte verkaufen und ihre Parzellen verkleinern, um zu überleben. So kommt es zu Mangelernährung und dem Ausbruch von Krankheiten. Soziale Spannungen und Jugendkriminalität nehmen zu.

Die Caritas prüft nun Möglichkeiten, um mit humanitärer Lebensmittelhilfe die Situation zu entschärfen, falls die Finanzierung dafür gesichert werden kann. Caritas Schweiz ist entschieden, ihr Engagement in Haiti solange möglich fortzuführen. Angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Land ist diese Unterstützung wichtiger denn je.

Finanzierung der Schweiz ist gefragt

Mit grosser Sorge beobachtet die Caritas, dass derweil die Schweiz ihr Budget für die Entwicklungszusammenarbeit zunehmend beschneiden will. Dass der Bundesrat entschieden hat, den Wiederaufbau der Ukraine aus dem Topf für die Internationale Zusammenarbeit (IZA) zu finanzieren, ist unverständlich. Dieser Entscheid wird einschneidende Kürzungen in der Entwicklungszusammen-arbeit in Ländern wie Haiti zur Folge haben. Dabei zeigt gerade dieses Beispiel eindrücklich: Bewaffnete Konflikte, die globale Inflation und Verschuldung sowie die Klimakrise stellen die Menschen weltweit vor grosse Herausforderungen. Die Schweiz muss sich solidarisch zeigen. Sie darf ihr finanzielles Engagement in der IZA angesichts dieser globalen Mehrfachkrise nicht reduzieren.

Geschrieben von Anna Haselbach, Projektverantwortliche Private Fundraising und Kommunikation, Caritas Schweiz

Interviewanfragen und weitere Informationen: medien@caritas.ch

Weitere Informationen

Titelbild: © Caritas Schweiz