Mehr Armut, mehr Hunger, zu wenig Impfstoff

Die Corona-Krise trifft ärmere Länder hart

Mitte Februar verkündete der Bundesrat das Ende der akuten Krise und der Corona-Schutzmassnahmen. Mit Omikron seien die Schweizer Spitäler nicht überlastet und das Gesundheitssystem nicht am Anschlag. Weniger erfreulich sieht es in ärmeren Ländern aus, wo die Covid-Krise noch lange nicht ausgestanden ist. Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen werden immer sichtbarer. 

Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO werden weltweit 5,6 Millionen Covid-Tote gezählt. Weil jedoch mehr als die Hälfte der Staaten über keine genauen Statistiken verfügt, dürfte die Dunkelziffer im Globalen Süden gross sein: Manche Länder, in Südamerika oder auf dem afrikanischen Kontinent, erfassen keine verlässlichen Todeszahlen. Andere Regierungen wiederum beschönigen ihre Zahlen, um der Weltöffentlichkeit eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung vorzutäuschen – oder schlicht, um von der eigenen Unfähigkeit im Umgang mit der Gesundheitskrise abzulenken.

Forschende aus der Demografie, der Datenwissenschaft und der Medizin sind genaueren Zahlen auf der Spur. Auf der Basis ausgeklügelter Modelle wird geschätzt, dass Covid-19 rund 20 Millionen Todesfälle verursacht hat – beinahe das Vierfache der offiziell ausgewiesenen Länderangaben, die bei der WHO gesammelt werden. Die Modelle beruhen auf unterschiedlichen Methoden: Extrapolation aus gut dokumentierten Provinzen auf ganze Länder, Auswertung von Satellitenbildern von Friedhöfen oder der Zahl der Beerdigungen, Haus-zu-Haus-Befragungen und repräsentative Telefonumfragen.

Entgegen dem Bild, das die offiziellen Zahlen vermitteln, dürften Entwicklungsländer hinsichtlich der Todesrate pro Kopf also mindestens genauso stark gelitten haben wie Industrieländer. Zwar ist die Bevölkerung in vielen ärmeren Ländern jünger, sodass mehr Menschen besser vor gravierenden Gesundheitsfolgen geschützt sind. Allerdings mangelt es vielerorts nach wie vor an einer angemessenen Gesundheitsversorgung, an Schutzausrüstung und geeigneten Behandlungsmöglichkeiten, an Medikamenten und Impfungen.

Die Welt wird ärmer und ungleicher

Nebst den vielen Toten und den gesundheitlichen Folgen wirkt sich die Corona-Krise auch anderweitig aus: Weltweit haben Millionen von Menschen aufgrund der Lockdowns (die wegen der schwierigen Gesundheitslage notwendig wurden) und wirtschaftlicher Einbrüche ihren Arbeitsplatz verloren. Die internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, dass 2022 beinahe 20 Millionen Menschen mehr arbeitslos sein werden als noch vor einem Jahr. Hinzu kommen seit 2019 auch über 100 Millionen Menschen, die von weniger als 3,20 Dollar pro Tag leben müssen.

Wegen Corona hat sich die Ernährungslage noch einmal rapide verschlechtert. 2,37 Milliarden Menschen, also fast ein Drittel der Weltbevölkerung, hatten im Pandemiejahr 2020 keinen Zugang zu ausreichend gesunder Ernährung. Das sind 320 Millionen Menschen mehr als noch 2019. 928 Millionen litten unter extremer Ernährungsunsicherheit – 148 Millionen mehr als im Jahr vor der Pandemie. Nahrungsmittel-Lieferketten sind unterbrochen, die Preise für Lebensmittel haben stark zugenommen.

Rasche, aber nicht ausreichende Unterstützung

Industrieländer wie die Schweiz konnten zur Stützung der Wirtschaft rasch dringend notwendige Konjunkturpakete schnüren. Ärmeren Regierungen hingegen fehlt dazu das Geld. Schlimmer noch, sie drohen unter der Schuldenlast, die mit Corona ansteigt, erdrückt zu werden. Laut der ILO entfielen gerade mal 0,4 Prozent der globalen fiskalpolitischen Wiederaufbauprogramme auf Staaten mit niedrigem Einkommen. Eine Folge davon: die Pandemie verschärft die Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten noch einmal massiv.

Erfreulich ist, dass die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit in der Corona-Krise leicht ansteigt. Allerdings leisten die wohlhabenden Geberländer auch heute noch weniger als die Hälfte der bereits in den 1970er Jahren im Rahmen der UNO versprochenen 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens. Auch die Schweiz hat nach Ausbruch der Pandemie rasch zusätzliche Gelder für humanitäre Projekte und die internationale Covax-Initiative für einen besseren und günstigen Zugang zu Impfungen in Entwicklungsländern gesprochen. Gleichwohl verharrt auch die schweizerische Entwicklungshilfe-Quote mit 0,48 Prozent im Jahr 2020 deutlich unter der international vereinbarten UNO-Richtmarke.

Nebst dem dringend erforderlichen Ausbau der Internationalen Zusammenarbeit sollte sich die Schweiz für weltweite Entschuldung einsetzen, woran insbesondere auch private Gläubiger beteiligt sein müssen. Ausserdem kann sie Covax noch stärker unterstützen, überschüssige Impfdosen abgeben und sich vorausschauend für eine angemessene und gerechte Impfstoffproduktion vor Ort einsetzen.

Geschrieben von Patrik Berlinger

Titelbild: © Alexandra Wey