1’000 km zu Fuss 

Vlad Fournier wandert für Caritas-Bergeinsatz von den Pyrenäen bis ins Wallis

Am 10. Mai 2023 startete ich meine Reise und legte 1’200 Kilometer zurück. Das entspricht einem Durchschnitt von 25-30 Kilometer pro Tag.

Wie kam es zu diesem Projekt?

Im vergangenen Sommer unternahm ich eine ähnliche Reise. Ich wanderte von Südfrankreich aus nach Hause und es wurde zu einer Art Ritual, jeden Abend an irgendwelchen Türen zu klopfen und nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen.  Es wurden viele Geschichten ausgetauscht und es war ein sehr bereicherndes Abendteuer mit bewegenden Begegnungen. Als mir dieses Jahr klar wurde, dass ich zwischen zwei beruflichen Engagements ein paar Wochen Freizeit haben würde, beschloss ich, das Abenteuer in einer anderen Region erneut zu wagen. Ich entschied mich, von den Pyrenäen loszuwandern.

© Vlad Fournier

Warum wandern Sie zugunsten von Caritas-Bergeinsatz?

Ich stamme aus einem landwirtschaftlichen Umfeld. Meine Grosseltern bewirtschafteten einige Parzellen mit Aprikosenbäumen und ich half ihnen oft in den Sommerferien. Als 15-Jähriger absolvierte ich einen zweiwöchigen Aufenthalt auf einem Bauernhof in der Deutschschweiz. Dort erkannte ich, dass das landwirtschaftliche Leben nicht einfach ist, geprägt von harten Arbeitszeiten. Mit meiner Wanderung wollte ich die Menschen auf dem Land und in meiner Region unterstützen.

Mein Projekt teilte ich mit meinem Netzwerk, meiner Familie, ehemaligen Kolleginnen und Kollegen sowie den Menschen, die ich auf meiner Reise durch Frankreich traf. Wenn ich auch nur einige Menschen für die Probleme der ländlichen Bevölkerung sensibilisieren konnte, dann war es das wert.

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Was nehmen Sie aus dieser Erfahrung mit?

Es ist eine tiefgreifende Erfahrung. Jeden Morgen wiederholte sich die gleiche Routine, aber die Landschaften veränderten sich. Jede Begegnung war einzigartig und ich entwickelte mich mit den verschiedenen Regionen weiter. Mir wurde klar, dass wir alle im selben Boot sitzen, unabhängig von politischer Ausrichtung, sozialem Status oder Beruf. Alles wird relativiert und man kann überall gute Menschen finden, die offen und gastfreundlich sind. Ich habe gelernt, Menschen aller Art zu vertrauen.

Mir fällt es leicht, Kontakte zu knüpfen. Zudem interessiere ich mich für diese Menschen, ihre Geschichten und ihre Kultur. Wenn ich mein Projekt vorstelle und die Menschen mir ihre Türen öffnen, ist das der Beginn einer einzigartigen Begegnung. Natürlich gab es auch Absagen und manchmal musste ich an zwanzig Türen klopfen, bevor ich eine Unterkunft fand. Aber diese Ablehnungen oder die wenigen Missgeschicke, die ich auf meiner Reise erlebte, wie zum Beispiel nasse Füsse oder Bedrohungen durch wilde Hunde, waren schnell vergessen und wurden tausendfach durch positive Erfahrungen kompensiert.

Ich traf Einzelpersonen, Familien, mit einem oder vielen Kindern, mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen und aus allen politischen Parteien. An einem Tag war ich bei einer Anti-Jagd-Familie, die mir die Gründe für das Jagdverbot erklärte, am nächsten Tag empfing mich ein Jäger und erklärte mir das Gegenteil. Ich begegnete Katholiken, Protestanten, Muslimen und Atheisten. Familien, die sagten, offen zu sein, sich aber nicht trauen, ihre Türen zu öffnen. Wiederum Andere, die behaupten, geschlossen zu sein und mich dennoch willkommen hiessen. Menschen, die von meinem Besuch gerührt waren und mir dafür dankten, dass ich vorbeigeschaut habe.

Ich war von der Authentizität der Begegnungen berührt. Der Herr, der mir erzählt, dass er seine Frau vor sechs Monaten bei einem Autounfall verloren hat, bei dem er dabei war und dass es ihm guttut, darüber zu sprechen. Die kinderreiche Familie, die gerade ein Kind verloren hatte, aber trotz des Schmerzes Gelassenheit zeigte, weil sie wusste, dass es getauft worden war. Ich war auch berührt von den Menschen, die sich unwohl fühlten, weil sie mich nicht beherbergen konnten, mir aber um jeden Preis helfen wollten.

Ich, der sonst gerne plant, liess mich von den Ratschlägen der Menschen und meiner Intuition leiten. Ich plante nichts, lebte von Tag zu Tag und wusste morgens nicht, wo ich abends schlafen würde. Oftmals liefen die Dinge noch ganz anders, als ich es mir hätte vorstellen können. Das Leben schenkte mir täglich kleine Freuden.

Vlad Fournier auf seiner Reise

© Vlad Fournier

«Ich, der sonst gerne plant, liess mich von den Ratschlägen der Menschen und meiner Intuition leiten.»

Vlad Fournier | wandert für Caritas-Bergeinsatz

Wie haben Sie konkret nach einer Übernachtungsmöglichkeit gesucht?

Je nach Wetter, Tag (samstags ist es schwieriger, verfügbare Personen zu finden) und meinem Müdigkeitszustand, schaute ich mir am späten Nachmittag auf der Karte die Dörfer in der Nähe an. Ab ca. 18 Uhr begann ich an die Türen zu klopfen. Ich fragte nach einer Dusche, einem Dach über dem Kopf und wo ich meine Isomatte auslegen konnte. Schliesslich boten mir fast alle ein richtiges Bett und eine Mahlzeit an. Das war auch die Gelegenheit, viele lokale Spezialitäten zu probieren! Nicht zu vergessen sind all die Geschichten und Anekdoten, die einem Walliser Wanderer an einen Abend erzählt werden.

Denjenigen, die mich nicht aufnehmen konnten oder wollten, sagte ich lächelnd: «Keine Sorge, ich werde schon einen Platz zum Übernachten finden. Ich hatte bis jetzt immer Glück und es gibt keinen Grund, warum sich das ändern sollte.» Manchmal half es, wenn ich ihnen meine heutige Route und mein Vorhaben für den nächsten Tag ausführlicher erklärte.

Ich habe in allen möglichen Unterkünften übernachtet: in einem Gästehaus, in einer Jurte und einmal in einem Schloss. Auch eine Scheune hätte mir genügt. Unter diesen Umständen gibt es nie einen «schlechten Plan». Luxus bedeutet das Ende der Anstrengung, Trockenheit nach dem Regen, die Dusche nach der Wanderung oder der Käse gegen den Hunger.

© Vlad Fournier

Gibt es besondere Erlebnisse, die Sie mit uns teilen möchten?

Es gibt drei Anekdoten, die ich gerne teile:

  • An einem Abend empfahl mir eine Familie, nach Lourdes zu fahren, da es auf meiner Route liege und gerade die Militärwallfahrt sei. Am nächsten Tag sollte dort eine Parade mit 10‘000 Soldaten aus ganz Europa stattfinden. Vor Ort traf ich zufällig zwei alte Freunde aus meinem Heimatdorf, mit denen ich damals zusammen zur Schule gefahren bin. So verbrachte ich einen wunderschönen Tag in deren Gesellschaft und nahm sogar – in meiner Wanderkleidung – an einem Teil der Militärparade teil, umringt von 10’000 Soldaten!
  • Auf einer abgelegenen Landstrasse überholte mich ein Radfahrer und kehrte wenig später lächelnd zurück. Er hatte ein Foto von mir erhalten, das Freunde von ihm sechs Tage zuvor und 120 km entfernt aufgenommen hatten. Diese hatten das Bild in eine WhatsApp-Gruppe geteilt, um an die spontane Begegnung zu erinnern. Dank dieses Zufalls fand ich schnell eine Unterkunft für die Nacht und landete bei einer zweiten Gastfamilie – alles dank eines Paares, das ich sechs Tage zuvor getroffen hatte.
  • Und dann war da noch dieser unvergessliche Abend mit einem jungen Legionär, der in Mali im Einsatz verwundet wurde. Er lud mich zum «Erdbeerfest» ein, das er in einer Jagdhütte auf dem Gipfel des Gorges in Aveyron besuchen werde. Ich verzichtete jedoch darauf, die Gruppe am nächsten Tag bei den «Aubades» zu begleiten. Ich befürchte, dass ich dann nicht mehr weiterziehen würde!
© Vlad Fournier

Was für Tipps haben Sie?

Wagen Sie es, Ihre Komfortzone zu verlassen. Das Leben ist aus zwei Gründen schwierig: Entweder, weil man seine Komfortzone verlassen muss oder weil man darin verharrt. Obwohl ich viele Kilometer zurückgelegt habe, habe ich mir nicht immer die Zeit genommen, die Region zu erkunden, zu fühlen und in vollen Zügen zu geniessen.

© Vlad Fournier
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Titelbild: © Vlad Fournier