Youssef Ghanem (43) aus Libanon
Plötzlich kostet alles zehnmal mehr
Es gibt Tage, da weiss Youssef Ghanem* weder ein noch aus. «Es reicht hinten und vorne nicht mehr», sagt der 43-jährige Familienvater aus Beirut. «Wir haben immer bescheiden gelebt. Aber vorher kamen wir durch». Vorher: Das war vor dem Herbst 2019. Bevor die schwere Wirtschaftskrise im Libanon ausbrach, Inflation um sich griff und die Preise ins Unermessliche stiegen. Nun ist Familie Ghanem innert kürzester Zeit in den Strudel der Armut geraten. Denn alles – vom Sack Reis über Medikamente bis hin zum Benzin – kostet im Durchschnitt 10 mal mehr. «Sogar das Gemüse ist wahnsinnig teuer geworden.»
Youssefs Einkommen als Taxifahrer ist nichts mehr wert. Angesichts der Benzinkosten rentiert sich seine Arbeit, von der die sechsköpfige Familie lebt, ohnehin kaum noch. Und nicht nur das: Youssef hat auch immer weniger Kundinnen und Kunden. «Weil sich die Leute das Taxi nicht mehr leisten können, steigen sie auf Mitfahrgelegenheiten um. Oder sie gehen zu Fuss», erklärt er. «Manchmal nehme ich Fahrgäste mit, obwohl sie nicht genug bezahlen können. Ich kann es mir nicht leisten, die wenigen verbleibenden Kundinnen und Kunden auch noch zu verlieren.»
Das tägliche Rechnen
Wie überleben wir heute? Jeden Tag beginnt das Rechnen von Neuem. Eine ausgewogene Ernährung ist längst nicht mehr möglich. Grosse Sorgen bereiten Youssef auch die lebenswichtigen Medikamente für seine kranke Mutter. Und die Schulgebühren: Letztes Jahr gab es für die beiden Kinder keine Noten, weil die Eltern die Gebühren nicht bezahlen konnten. Wenn das so weitergeht, bleiben Youssefs Söhne Gilles und Michel ohne Abschluss. Dabei haben die beiden noch Glück: Ihr Schulunterricht findet meist statt. Viele Schulen bleiben jedoch immer wieder geschlossen – wegen der Corona-Pandemie, oder weil die Lehrpersonen streiken. Denn auch sie verdienen kaum genug, um ihre eigenen Kinder zu ernähren.
Selbst Strom ist zur teuren Mangelware geworden
Familie Ghanem wohnt in einer kahlen Wohnung in einem Vorort von Beirut. «Wenn wir duschen möchten, erwärme ich einen Topf Wasser auf dem Gasherd», erzählt Youssefs Frau Suzanne. Warmes Wasser haben sie selten. Seit das Land auf den Bankrott zusteuert, gehen im Libanon immer öfter Licht und Heizung aus.
Heute kann von Glück sprechen, wer zwei Stunden täglich Strom aus dem öffentlichen Netz hat. Der Staat kann sich den Treibstoff-Import nicht mehr leisten, den er für den Betrieb der Elektrizitätswerke benötigt. Wie die meisten Familien kauft auch Familie Ghanem zu horrenden Preisen Strom von privaten Anbietern dazu – wenn sie ihn sich leisten können.
Wenigstens das Nötigste kaufen
Verzweifelt sucht Youssefs Familie nach Möglichkeiten, ihre Grundbedürfnisse zu decken. Sie verkaufen Habseligkeiten, die noch etwas Wert haben. Wie den Goldring der Grossmutter, ein letztes Erbstück. «Und man versucht, sich gegenseitig zu helfen, mal hier, mal da», sagt Youssef. In der erweiterten Familie, unter Freunden. Aber alle haben zu kämpfen. «Wir müssen uns an Hilfsorganisationen wenden für Linsen, einen Sack Reis oder andere Lebensmittel.»
Über mehrere Monate erhielt Familie Ghanem Bargeldhilfe von der Caritas und unterstützt von der Glückskette. Sie wird ausgezahlt in der starken Währung, dem Dollar. «Wir konnten Essen und Kleider für die Kinder kaufen», sagt Youssef erleichtert. Und: Ein Teil der Schulgebühren ist damit für dieses Jahr gesichert. Das ist dem Vater besonders wichtig. «Meine Sorgen gelten nicht mir. Sondern meinen Kindern. Alles, was ich möchte, ist, dass sie eine Zukunft haben.»
Über Youssef Ghanem*, 43 Jahre
*Alle Namen zum Schutz der Personen geändert
Youssef verdient rund 3,3 Mio. libanesische Pfund im Monat. Das sind mit Wechselkurs vom Oktober 2021 etwa 160 USD. Allein die Medikamente, die Youssefs Mutter pro Monat braucht, verschlingen rund einen Drittel davon.
Bourj Hammoud, ein Vorort im Osten von Beirut. Eine ärmere, aber sehr belebte Stadt mit einer grossen migrantischen Bevölkerung.
Verheiratet mit Suzanne (39). Söhne Gilles (8) und Michel (6). Im gleichen Haushalt leben auch Youssefs Mutter und seine Schwester.
Youssef hat die Schule nicht abgeschlossen. Seit vier Jahren arbeitet er als Taxifahrer, davor war er lange Zeit als Kurierfahrer und Lieferant unterwegs. Auch Suzanne hat die Schule ohne Abschluss verlassen: Da sich ihre Eltern früh scheiden liessen, musste sie ihre Geschwister hüten.
Hilfe in einem Land, das zerfällt
Krise über Krise brach in den letzten Jahren über den Libanon herein. 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge muss das kleine Land in Arbeits- und Wohnungsmarkt integrieren. Auf eine schwere Finanz- und Politik-Krise folgte die Corona-Pandemie. Und im Sommer 2020 erschütterte eine Explosion im Hafen die Stadt Beirut. Das Land zerfällt. Über drei Viertel der Bevölkerung leben heute wie Familie Ghanem in Armut, 40 Prozent haben keine Arbeit.
Jeden Franken, der gespendet wird, kann die Caritas dafür einsetzen, dass bedürftige Libanesinnen und Libanesen sowie syrische Flüchtlinge im Libanon überleben und sich mittelfristig Perspektiven aufbauen können trotz der schweren Krise.
«Meine Sorgen gelten nicht mir. Sondern meinen Kindern. Alles, was ich möchte, ist, dass sie eine Zukunft haben.»
Wirkung Ihrer Spende
Mit 58 Franken ermöglichen Sie z.B. 20 Familien, Gas zum Kochen für einen Monat zu kaufen.
Mit 84 Franken statten Sie z.B. vier Familien mit Hygieneartikeln für einen Monat aus.
Mit 145 Franken versorgen Sie z.B. fünf Familien für einen Monat mit Nahrungsmitteln.
Weitere Informationen
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Titelbild: © Ghislaine Heger