«Wenn Menschen mit Schulden zu mir kommen, müssen wir zuerst aufräumen.»

«Inside Caritas» mit Lorenz Bertsch, Sozial- und Schuldenberater bei Caritas St. Gallen-Appenzell und Leiter der Regionalstelle Sargans

Lorenz Bertsch berät Menschen, die in die Schuldenfalle geraten sind. Seit letztem Oktober ist die Anzahl der Beratungen gestiegen – eine Folge der Corona-Pandemie. Lorenz verhilft den Menschen wieder zu einer Perspektive.

Er sitzt in seinem Büro in einem Zweifamilienhaus im Zentrum von Sargans. Hier hat der 52-Jährige eine Regionalstelle für Sozial- und Schuldenberatung der Caritas St. Gallen-Appenzell aufgebaut. Ebenso in Uznach und Buchs. Die Caritas wollte näher bei den Leuten sein, denen sie ihre Hilfe anbietet.

Seit letztem Oktober melden sich deutlich mehr Menschen bei Caritas St. Gallen-Appenzell, die in die Schuldenfalle geraten sind. Die Pandemie zeigt ihre Wirkung, mit etwas Verzögerung. «Oft warten die Leute zu lange, bis sie Hilfe suchen», meint Lorenz. «Schulden zu haben und sein Leben nicht meistern zu können, ist mit viel Scham verbunden.» Immer mehr Menschen würden sich zuerst über die telefonische Beratungsstelle melden und dann einen Termin abmachen. «Wenn jemand einmal den Entschluss getroffen und Vertrauen gefasst hat, sprudelt es oft nur so aus ihm heraus», erzählt Lorenz. «Vertrauen ist das wichtigste. Das schaffe ich nur mit viel Empathie. Aber auch der Name Caritas hilft da sehr.»

Schrittweise aus der Verschuldung

Die Gründe für eine Verschuldung sind verschieden. Oft ist der Auslöser ein Jobverlust oder Kurzarbeit. Wenn jemand bereits am Existenzminimum lebt, kommt er oder sie mit 70% oder 80% vom üblichen Lohn nicht mehr durch. Andere Gründe sind eine Scheidung, eine längere Krankheit oder auch Suchtverhalten.

«Wenn Menschen mit Schulden zu mir kommen, müssen wir zuerst aufräumen», sagt Lorenz. «Viele kommen mit einer Beige ungeöffneter Rechnungen. Einmal kam eine junge Frau mit einem ganzen Rucksack voll. Da mache ich eine Aufstellung aller geschuldeten Beträge, schubladisiere, errechne, was überhaupt geschuldet wird.» Dann greift Lorenz zum Telefon. Er redet mit Gläubigern und vereinbart, wie die Ratenzahlungen erfolgen sollen. Bei Fällen, in denen noch keine Betreibung vorliegt und ein schrittweises Herausführen aus den Schulden möglich ist, stellt er Gesuche an Stiftungen, die oft helfen. Wichtig ist es, eine Pfändung zu verhindern. Zusammen mit seinen Klientinnen und Klienten stellt Lorenz ein Budget auf und einen Plan für Ratenzahlungen. So hilft er den Hilfesuchenden, wieder Mut zu fassen, eine Perspektive zu sehen. Denn diese haben die meisten schon seit längerer Zeit verloren. Sie sitzen in einem Loch.

«Es ist wichtig, die Verschuldungsgeschichte zu kennen», fährt Lorenz fort. «Ich will der Person ja helfen, dieselben Fehler in Zukunft zu vermeiden. Wenn mir etwas komisch erscheint, frage ich nach, bis ich auf den wahren Grund stosse, wie etwa eine Sucht.» Lorenz macht auch viel Sensibilisierungsarbeit zum Thema Verschuldung. Prävention kann viel Leid verhindern.

Ein Quereinsteiger mit vollem Rucksack

Seine langjährige Erfahrung und seine Menschenkenntnis helfen Lorenz Bertsch bei den Beratungen. Der Quereinsteiger hat ursprünglich einen technischen Beruf erlernt und in der Industrie gearbeitet. Er hat Menschen mit verschiedensten Hintergründen kennengelernt. «Das hilft mir enorm», bestätigt er. «Ich kenne verschiedene Milieus.» Später hat er in den sozialen Bereich gewechselt, physisch oder psychisch beeinträchtigte Menschen betreut und sich zum Arbeitsagogen ausbilden lassen. Sein beruflicher Rucksack beinhaltet auch Ausbildungen in Betriebswirtschaft und Schuldenberatung. «Ich interessiere mich für Menschen, und ich nehme sie so, wie sie sind.» Das ist sein Credo.

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