Was unterscheidet Kinderflüchtlinge von Erwachsenen oder Familien im Asylbereich?
Sie leben hier ohne Eltern, ohne ihr gewohntes familiäres Umfeld. Bereits auf der Flucht mussten sie alles selbst bewältigen und dabei permanent einschätzen, wer ihnen gut oder böse gesinnt ist. Manche haben ihre Eltern oder andere Familienangehörige unterwegs verloren. Das sind schwere zusätzliche psychische Belastungen. Auf der anderen Seite steht ihr jugendliches Alter, sie träumen vom Leben, sind motiviert und bringen ein grosses Potenzial mit sich.
Wie beurteilen Sie den Umgang der Schweiz mit Kinderflüchtlingen?
Ich denke nicht, dass wir ihnen gerecht werden. Vor zwei Jahren stieg die Zahl unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender dramatisch an. In der Folge gab es teilweise schlimme Verhältnisse, was Betreuung und Unterkünfte anging. Viele 15-Jährige waren ohne spezifische Unterstützung mit fremden Erwachsenen untergebracht. Das hat sich inzwischen stark verbessert. Es gibt aber noch immer Defizite.
Wo sehen Sie die grössten Probleme?
Den jüngeren Kindern fehlt es an einem stabilen Netz. Sie bekommen nicht die nötige Geborgenheit und Erziehung. Die älteren Jugendlichen sind psychisch oft stabiler, leiden aber unter einem gravierenden Bildungsmanko. Sie dürfen nach dem 16. Geburtstag nicht mehr die öffentliche Schule besuchen. Wegen fehlenden sprachlichen und schulischen Kenntnissen sind sie auch nicht in der Lage, einen Beruf zu erlernen, und fallen durch die Maschen.
Die allermeisten Kinderflüchtlinge werden vorläufig aufgenommen. Da sie aus Ländern mit lange andauernden Konflikten stammen, werden sie kaum je zurückkehren können. Gleichzeitig ist die vorläufige Aufnahme ein unsicherer Status. Was bedeutet das für die Zukunft dieser jungen Menschen?
Dieses Vorgehen ist aus Sicht der Caritas mindestens unklug. Wenn wir möchten, dass die Kinder und Jugendlichen ihre ganze Energie, ihre Power hier investieren, müssen wir ihnen eine Perspektive gebenstatt ihnen Steine in den Weg zu legen. Am besten würde man sie aus dem Asylprozess herausnehmen und ihnen eine Aufenthaltsbewilligung geben. Es sind ja nicht Zehntausende. Wenn jemand trotzdem in sein Land zurück will, bleibt ihm das ja nicht verwehrt. Mit dem Asylverfahren legen wir den jungen Menschen Fesseln an, dass es einem bange wird.
Kinderflüchtlinge sind in erster Linien Kinder, schreibt die Caritas. Was heisst das?
Sie brauchen das Gleiche, was unsere Kinder auch brauchen: Liebe, Zuneigung, Erziehung mit klaren Grenzsetzungen, ein stabiles Umfeld, die Grundsicherheit, dass es am Schluss gut wird. Sie benötigen Bildung so vermittelt, dass sie sie aufnehmen können. Dabei sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich: Manche Kinderflüchtlinge sind Analphabeten, andere Mittelschüler. Sie brauchen ein Daheim. Unsere Kinder haben ein Bett, ein Zimmer vielfach für sich allein, eigene Kleider, eine eigene Welt, über die sie ein Stück weit verfügen können.