Mitarbeiter der Caritas im Gespräch mit Projektteilnehmenden in Uganda.
Mitarbeiter der Caritas im Gespräch mit Projektteilnehmenden in Uganda.

Die Schweiz steht in der Verantwortung gegenüber notleidenden Menschen in Afrika

Eine Replik

Entwicklungszusammenarbeit in Afrika sei kontraproduktiv, schreibt ein Gastautor in der NZZ. Wieso das falsch ist und der Norden Verantwortung wahrnehmen muss, erläutert Franziska Koller, Leiterin der Internationalen Zusammenarbeit der Caritas, in einer Replik.

Replik der Caritas auf den Beitrag NZZ-Gastkommentar «Afrika braucht unser Geld nicht» vom 31.08.2022

Afrika brauche unser Geld nicht, schreibt der Journalist Kurt Gerhardt. Der Titel weckt die Vorstellung, dass «wir», also die reichen nördlichen Länder wie die Schweiz, in unserer Grosszügigkeit Geld nach Afrika verschenken. Diese Grundannahme ist aber falsch. Es ist nicht «unser Geld», das in den Süden fliesst. Der Kapitalfluss geht in umgekehrter Richtung. Forscher der University of California in Berkeley und der University Kopenhagen schätzen, dass jedes Jahr bis zu 40 Prozent der Profite international tätiger Konzerne von jenem Land, in dem sie erwirtschaftet wurden, in Steuerparadiese verschoben werden. Das sind mehr als 900 Milliarden US-Dollar. Rund ein Zehntel dieser Gelder landet in der Schweiz. Diese Praxis entzieht den Produktionsländern im Süden dringend benötigte Steuereinnahmen und verstärkt so die globale Ungleichheit. Die Schweiz allein verursacht mit dieser Steuerpraxis von Konzernen jedes Jahr eine Steuereinbusse von rund 19 Milliarden US-Dollar, die den betreffenden Ländern schmerzlich fehlen. Und das ist nur ein Teil des Profits, den die Schweiz aus Geldtransfers aus dem globalen Süden zieht. 

Dass die Entwicklungshilfe nicht funktioniere, schliesst Gerhardt aus der Feststellung, dass afrikanischen Länder keine Entwicklungssprünge machten wie asiatische und weiterhin Massenarmut herrsche. Tatsächlich verringerte sich die Armut in den vergangenen 20 Jahren in vielen afrikanischen Ländern aber deutlich. Dazu hat auch die Entwicklungszusammenarbeit einen wichtigen Beitrag geleistet. Aktuell steigt die Armut aber wieder an und wir beobachten in vielen fragilen Ländern eine dramatische Zunahme von Konflikten und eine Erosion der Regierungsmacht. Massgeblich mitverantwortlich dafür sind Krisen, die nicht hausgemacht sind: die Corona-Pandemie und die Klimakrise zum Beispiel. Der Krieg in der Ukraine sorgt für eine massive Verteuerung der Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt. Es sind die ärmsten Menschen, die sich Lebensmittel nicht mehr leisten können und die die Zahl der täglichen Mahlzeiten reduzieren müssen.

Die Vorstellung, dass armen Menschen Geschenke verteilt werden oder Gelder der Entwicklungshilfe einfach in die Taschen korrupter Politiker fliessen, ist realitätsfern. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir heute von Entwicklungszusammenarbeit oder Internationaler Zusammenarbeit sprechen. In den Projekten von modernen Entwicklungsorganisationen steht der Einbezug der Bevölkerung im Zentrum. Es geht darum, dass sie ihre Arbeitskraft zielgerichteter und ertragreicher einsetzen können, etwa durch ökologische Anbaumethoden. Produzentinnen und Produzenten brauchen auch Zugang zu lokalen Märkten, damit sie den Wert ihrer Arbeit nicht an Zwischenhändler und Konzerne verlieren. Dies alles können wir von aussen kommend nur dann positiv beeinflussen, wenn wir eng mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten. Sie kennen die Bedürfnisse der Menschen am besten. Dass diese Organisationen gestärkt gegenüber – teilweise auch autoritären oder korrupten – Regierungen auftreten können, ist ein langfristiger, enorm wichtiger Effekt. Das Ziel ist nicht eine aufholende Entwicklung gegenüber Ländern des Nordens, deren Konsumorientierung in keiner Weise weltverträglich ist. Es geht um die Stärkung tragfähiger, gleichberechtigter und lokal angepasster sozialer Strukturen. Meine Erfahrung widerspricht hier jener des Autors diametral: Wenn ich unsere Projekte und Partner in Afrika besuche, spüre ich keine Lethargie. Viel mehr treffe ich auf Menschen, die mit enormem Willen und unermüdlichem Engagement unhaltbare Zustände verbessern und die für Selbstbestimmung und die eigenen Rechte einstehen. Dank ihnen haben armutsbetroffene Menschen eine Perspektive und sie können ihre Lebenssituation ein Stück weit verbessern.

Es ist verfehlt, wenn wir Afrika als Kontinent der Armut wahrnehmen. Aber wir dürfen die Augen nicht verschliessen. Gerade jetzt leidet ein grosser Teil der ärmeren Bevölkerung in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara unter einer tiefgreifenden Mehrfachkrise, die für Millionen von Menschen zur Überlebensfrage wird und ihre Existenz in den Grundfesten erschüttert. Zu fordern, dass sich reiche Länder doch besser zurückziehen sollen, ist ein Affront gegenüber diesen Menschen in Not. Die Forderung abzustützen mit der Behauptung, wir hätten keinen Anteil an der negativen Entwicklung, ist ein Verkennen der Realität in der globalisierten Welt. So trifft die Klimakrise Menschen des Südens am stärksten, während die Länder des Nordens diese durch ihre jahrzehntelang überbordende Nutzung fossiler Energieträger hauptsächlich verursacht haben. Wir verteidigen im Norden unseren Wohlstand auf Kosten anderer und setzen selbstverständlich voraus, dass Menschen in armen Ländern Verzicht üben sollten und dass ein grosser Teil der weltweiten Bevölkerung hungert. Die reichen Länder stehen in der Verantwortung. Sie müssen die Finanzflüsse aus dem Süden in den Norden deutlich verringern. Sie dürfen nicht nur punktuell Nothilfe leisten, sondern müssen benachteiligte Menschen so unterstützen, dass sie sich eine eigene Zukunft aufbauen können. Dazu leistet Entwicklungszusammenarbeit einen unverzichtbaren Beitrag.

Franziska Koller, Leiterin Internationale Zusammenarbeit, Caritas Schweiz

Wir haben diesen Beitrag der NZZ zur Publikation angeboten. Die Redaktion hat die Veröffentlichung aber mit Hinweis auf fehlenden Platz abgelehnt.

Titelbild: Mitarbeiter der Caritas im Gespräch mit Projektteilnehmenden in Uganda. © Fabian Biasio