Peruanische Bäuerinnen müssen für die Schweiz das Klima retten

Schweizer Auslandskompensationen werfen Fragen auf

Die Schweiz setzt für die Erreichung ihrer Klimaziele auf Kompensationsprojekte im Ausland. So sieht es das CO2-Gesetz vor, welches das Parlament in der laufenden Session debattiert. Der Kompensationsmechanismus ist jedoch umstritten, denn die Schweiz schiebt ihre Verantwortung damit teilweise ins Ausland ab, anstatt im Inland ambitioniert Emissionen zu reduzieren. Caritas Schweiz hat eine Studie in Auftrag gegeben, die ein Kompensationsprojekt der offiziellen Schweiz in Peru analysiert. Die Resultate zeigen, wie fragwürdig der Kompensationsmechanismus ist.

Das in der Studie untersuchte Projekt «Tuki Wasi» hat zum Ziel, rund 60'000 Haushalte im bäuerlich geprägten peruanischen Hochland mit energieeffizienteren Kochherden zu versorgen. Diese neuen Herde benötigen weniger Brennholz und stossen damit weniger Treibhausgase aus. Finanziert wird das Projekt unter anderem mit Geldern aus der Schweiz, die dafür Klimazertifikate erhält. Die Finanzierung der Zertifikate stammt aus dem Schweizer Verkehrssektor. Der Bund verpflichtet die Mineralölimporteure dazu, einen Teil der Emissionen aus dem von ihnen vertriebenen Benzin und Diesel zu kompensieren.

Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens hat sich die Schweiz erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Klimaziele auch über einen solchen Zukauf von ausländischen Zertifikaten erreicht werden können. Angela Lindt, Leiterin Entwicklungspolitik von Caritas Schweiz, kritisiert:

«Dank dem Einsatz der peruanischen Campesinas dürfen wir in der Schweiz weiter mit dem Offroader herumkurven. Der Kompensationsmechanismus im Ausland ist höchst fragwürdig.»Angela lindtLeiterin Entwicklungspolitik

Dank der effizienten Kochherde in den Anden müssen die Emissionen hierzulande gemäss diesem Mechanismus also weniger stark sinken. Dabei hat die Schweiz einen massiv höheren Pro-Kopf-Ausstoss an klimaschädlichen Emissionen als Länder wie Peru. Gleichzeitig trifft die Klimakrise die Menschen in Peru bedeutend stärker als uns: Sie verfügen über weniger Mittel, um sich an die veränderten Bedingungen anzupassen und über kaum soziale Absicherungen, um die negativen Folgen abzudämpfen. Nun sollen sie auch noch unsere Klimaziele erfüllen.

Der Kochherd dieser peruanischen Bäuerin benötigt weniger Holz als der frühere und soll dazu beitragen, CO2-Emissionen der Schweiz zu kompensieren. © CooperAcción

Ist die CO2-Reduktion wirklich zusätzlich?

Die peruanische Nichtregierungsorganisation CooperAcción hat im Auftrag von Caritas Schweiz das Klimaschutzprojekt «Tuki Wasi» genauer unter die Lupe genommen. Die Untersuchung hat ergeben, dass die effizienteren Kochherde in den Haushalten ankommen und genutzt werden. Das peruanisch-französische Unternehmen Microsol, welches die Kochherde installiert, ist erfahren mit Kochofenprojekten. Bereits seit 2008 installiert es in den peruanischen Anden solche Öfen, finanziert unter anderem auch durch Klima-Zertifikate aus dem freiwilligen Kompensationsmarkt. Mit dieser Art von Zertifikaten kompensieren Konsumentinnen und Konsumenten beispielsweise ihre Flugreisen.

Aktueller Medienbericht: «Das Magazin» hinterfragt CO2-Auslandkompensationen

Unter dem Titel «Der Schweizer Ablasshandel» publiziert «Das Magazin» des Tages-Anzeigers in der Ausgabe vom 9. Dezember 2023 eine Recherche, die die Wirksamkeit von Projekten zur Kompensation von CO2 im Ausland kritisch unter die Lupe nimmt. Darin ist auch die Studie der Caritas Schweiz zum Klimaschutzprojekt «Tuki Wasi» Peru thematisiert:

«Kochofenprojekte gibt es in Peru seit den Achtzigerjahren. Lange vor dem Schweizer Vorstoss sind mehrere Hunderttausend Öfen gebaut worden – von Entwicklungshilfeorganisationen, aber auch vom peruanischen Staat selbst. Es ist daher naheliegend, dass Caritas zum Schluss kommt: Das Kochofenprojekt erfüllt das Kriterium der Zusätzlichkeit nicht.»

Bei der Berechnung der Emissionseinsparungen setzt Microsol auf die Methoden des Goldstandards, einer Berechnungsgrundlage für CO2-Einsparungen, die international anerkannt ist und als solide gilt. Gemäss ihren eigenen Aussagen benötigen die für die Studie befragten Nutzerinnen und Nutzer dank den effizienteren Öfen nur noch halb so viel Brennholz wie zuvor. Zur Frage, ob die Familien nun aber einfach öfters kochen, da sie über einen effizienteren Herd verfügen, konnte die Studie von CooperAcción keine Aussagen machen, da dazu die Datengrundlage fehlte.

Auch zur Frage, ob die Berechnungen für die Ausstellung der Zertifikate den tatsächlichen Emissionsreduktionen entsprechen, fehlte den Autorinnen und Autoren der Studie der Zugang zu den benötigten Daten. Die Studie macht jedoch deutlich, wie fragwürdig der Kompensationsmechanismus an sich ist, abgesehen vom Abschieben der Verantwortung durch die Schweiz ins Ausland.

So ist fraglich, ob das Projekt das im Pariser Klimaabkommen definierte Kriterium der «Zusätzlichkeit» erfüllt. Effiziente Kochöfen sind in Peru seit vielen Jahren verbreitet. Der peruanische Staat wie auch Nichtregierungsorganisationen oder eben private Unternehmen wie Microsol setzen seit Jahren auf dieses Instrument, um die Emissionen zu reduzieren. Die Studie listet verschiedene Projekte auf, die zwischen 2008 und 2021 über 550'000 energieeffiziente Kochherde in Peru installiert haben.

«Die reiche Schweiz pickt sich auf beschämende Weise die einfachen, günstigen Massnahmen heraus. Dem peruanischen Staat bleiben für die Erreichung seiner eigenen Klimaziele die Bereiche, in denen die Emissionen viel schwieriger zu reduzieren sind.»Angela lindtLeiterin Entwicklungspolitik

Peru hat sich dazu verpflichtet, bis 2030 seine Emissionen um 30 Prozent zu reduzieren. Darüber hinaus muss das Land vor allem aber auch massive Anstrengungen unternehmen, um sich an die veränderten Klimabedingungen anzupassen. Der Umgang mit der Klimakrise wird für Peru zu einer kaum zu stemmenden Herausforderung, wenn die reiche Schweiz die kostengünstigen Klimaschutzmassnahmen für sich beansprucht.

Ausbleibender Technologietransfer

Auch trägt das «Tuki Wasi»-Projekt nicht dazu bei, dass sich die effizienteren Kochherde unabhängig vom Handel mit den Klima-Zertifikaten weiter in den betreffenden Regionen verbreiten würden. Die Öfen werden zwar von lokalen Maurern installiert, welche dazu eine Schulung von Microsol erhalten und für die die Aufträge eine erwünschte Einnahmequelle darstellen. Microsol hat jedoch keinerlei Interesse daran, dass die Maurer danach auf eigene Faust effizientere Kochherde installieren, da das Unternehmen dafür keine Klima-Zertifikate mehr ausstellen könnte.

Zudem findet kein Technologietransfer zwischen der Schweiz und Peru statt. Die Kochherde verbessern unbestrittenermassen die Lebensumstände der Familien, die vom Projekt profitieren. Ob das Projekt allerdings zu einer nachhaltigen Entwicklung vor Ort beiträgt, wie dies den Schweizer Klimaschutzprojekten gesetzlich vorgeschrieben wird, ist aber mehr als fraglich. Um dieses Kriterium zu erfüllen, greift das Projekt zu kurz, denn es geht nicht darüber hinaus, in den Haushalten lediglich die neuen Kochherde zu installieren.

© CooperAcción

Mangelhafte Information der Nutzerinnen

CooperAcción kritisiert ausserdem, dass die Bäuerinnen nur ungenügend oder gar nicht über den Kompensationsmechanismus aufgeklärt werden. Gleichzeitig treten sie mit der Teilnahme am Projekt Tuki Wasi aber ihr Recht auf die Emissionen an die Schweiz ab. Als Organisation, die sich für die Rechte der kleinbäuerlichen und der indigenen Bevölkerung Perus einsetzt, fordert CooperAcción, dass die Schweiz bei der Umsetzung ihrer Klimaschutzprojekte sogenannte Safeguards-Massnahmen verpflichtend vorschreibt.

Dazu würden beispielsweise Richtlinien gehören, wie auf lokaler Ebene über die Klimaschutzprojekte informiert wird und mit welchen Massnahmen das Einverständnis der Bevölkerung dazu eingeholt wird. Nur so kann nach Ansicht von CooperAcción sichergestellt werden, dass die Klimaschutzprojekte nicht die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen verletzen.

Ungenügende Klimaschutzmassnahmen im Inland

Die Schweiz hat inzwischen mit vierzehn Ländern ein bilaterales Klimaschutzabkommen unterzeichnet, welche die Grundlage legen, damit Emissionsreduktionen der Schweiz angerechnet werden können, die mit Klimaschutzprojekten im Ausland erzielt werden. Zu diesen Ländern gehören neben Peru, Chile, Dominica, Georgien, Ghana, Kenia, Malawi, Marokko, Thailand, Tunesien, Senegal, die Ukraine, Uruguay und Vanuatu.

In der Frühjahrssession beraten National- und Ständerat die Revision des CO2-Gesetzes zu Ende. Die Frage, wie gross der Anteil der Auslandskompensationen der Schweiz sein darf, ist dabei ein Streitpunkt. Caritas fordert, dass die Schweiz griffigere Klimaschutzmassnahmen im Inland beschliesst, statt ihre Verantwortung ins Ausland abzuschieben.

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Titelbild: © CooperAcción